Steudtner sang Kirchenlieder im Gefängnishof
Erstes Inter iew des Menschenrechtlers in Freiheit: Dunkle Tage im türkischen Knast
Berlin – Der Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner (45) und sein Kollege Ali Gharavi (50) waren mehr als drei Monate in der Türkei inhaftiert. Die Behörden warfen ihnen vor, Terrororganisationen unterstützt zu haben. Kürzlich kamen die beiden frei. Dem „Spiegel“-Reporter Maximilian Popp gaben sie jetzt ein erstes Interview. Wir zitieren daraus.
Über ihre Festnahme: Es war während eines Workshops mit türkischen Kollegen in einem Hotel auf der Insel Büyükada. Gharavi schildert, wie etwa 20 bis 30 Männer in den Konferenzsaal stürmten. Ohne Uniform, aber mit Pistolen in den Hosen. Steudtner. „ Sie drückten uns geen die Wand, tasteten uns ab. Sie sprachen weder Deutsch noch Englisch.“Über die Verhöre: Man brachte die beiden dann zur Polizeistation. Mehrere Stunden, so Gharavi, seien sie verhört worden. „Vier Männer mit Waffen saßen mir gegenüber. Sie rauchten, sie schrien mich in schlechtem Englisch an.“Später wurden sie ins Gefängnis im Istanbuler Stadtteil Maltepe verlegt. „Unsere Anwälte erklärten dem Direktor, wir seien keine Anhänger der Gülen-Bewegung. Von da an ging man respektvoller mit uns um!“Über die Haftbedingungen: „Es gab helle Tage im Gefängnis und dunkle, die meisten waren dunkel“, so Gharavi. „Ich werde nicht wieder der Mensch sein, der ich vorher war.“Die beiden wurden von einem Gefängnis ins nächste gekarrt. Im Hauptquartier Vatan Caddesi wurden sie in unterirdische Zellen esperrt. Für 13 Tage. Gharavi: „24 Stunden brannte dort das Licht. Ich habe in den zwei Wochen kaum geschlafen.“Es habe aber auch Momente der Menschlichkeit gegeben und Trost von anderen Inhaftierten. Dann ging es in den Gerichtspalast Caglayan. Dort wurden sie im unterirdischen Zellentrakt für Terrorverdächtige untergebracht. Steudtner: „Zwischen den Gitterstäben lief eine Katze umher, mager und zerzaust. Wir fütterten sie, waren froh über die Abwechslung.“Über Rituale im Knast: Über Maltepe ging es ins Gefängnis von Silivri. Die ersten Tage wieder in Einzelhaft. Steudtner: „Ich habe jeden Morgen Yoga gemacht. Außerdem bin ich im Hof im Kreis gelaufen, auf einer Fläche von 4,80 mal 7,20 Metern. Ich wusste ja, dass im September in Berlin ein Marathon stattfinden würde. Ich wollte einen Halbmarathon schaffen: 21 Kilometer, das waren 1500 Runden.“
Und da Steudtner wusste, dass seine Berliner Kirchengemeinde jeden Abend eine Andacht für ihn abhielt, war er nicht nur in Gedanken dabei: „Ich setzte mich zur selben Zeit in den Hof und sang die Lieder, die sie auch sangen: ,Wachet und betet‘, ,Der Himmel geht über allen auf ‘, ,We shall overcome’.“Über den Kontakt zur Außenwelt: „Wir hatten kein Radio, keinen Fernseher, keine Zeitungen. Aber durch die Anwälte, mit denen wir einmal in der Woche eine Stunde sprechen konnten, erfuhren wir von der Solidarität in Deutschland.“Über die Freude in der Freiheit: „Ich habe noch gar nicht begriffen, was mit uns geschehen ist“, sagt Steudtner in dem Interview. „Ich bin glücklich, frei zu sein, meine Liebsten, meine Familie wieder um mich zu haben. Und ich bin unruhig: Der Prozess geht ja weiter.“