Mit Klassik gegen die Angst am Bosporus
Das Hamburger Quartett Salut Salon auf Tournee in der Türkei – die MOPO war dabei
Sie wollen mit Witz und Charme die Grenzen zwischen Klassik und Unterhaltung sprengen – und begeben sich dafür auch auf gefährliches Terrain: Das Hamburger Kammerensemble Salut Salon war auf Tournee in der Türkei. Die MOPO war dabei – und sprach in Istanbul mit Künstlern und Musikern, die unter der Quasi-Diktatur leiden.
„Als Musiker können wir gerade in dieser Zeit ein Zeichen setzen, wenn wir in solch ein Land fahren und den Austausch mit den Künstlern dort suchen“, sagt Salut-Salon-Gründerin Angelika Bachmann. In einer Zeit, in der immer mehr türkische Kulturschaffende aus Angst vor Repressalien nicht offen sprechen und ihre Namen nennen mögen. Wo hier am Bosporus wie auch im übrigen Land Theater, Opernhäuser und Kulturzentren geschlossen, Musiker und Schauspieler zu Verkäufern und Lehrern werden, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.
Bachmann hat im Istanbuler Gründerzeit-Hotel „Pera Palace“ein Treffen mit einheimischen Künstlerkollegen vereinbart. Und was die zu erzählen haben, klingt finster. „Entweder bleibt man sich selbst und seinen Idealen treu und damit hungrig – oder man unterstützt dieses diktatorische System und wird satt.“Bedächtig formuliert Ömer Bilgiç* seine Worte – und doch schwingen unüberhörbar Bitterkeit und Wut in der leisen Stimme des 41jährigen Komponisten mit. „Wer die Regierung kritisiert, verliert seinen Job.“„Früher gab es nicht nur zahlreiche Jazzclubs in Istanbul, sondern ich konnte als Sängerin auch Konzerte in Hotels geben“, erzählt Azra Melek* – heute sind gerade mal noch eine Handvoll Jazzhäuser in der 15-Millionen-Einwohner-Stadt geöffnet. Und der Trompeter Yusuf Korkmaz* ergänzt: „Gefördert wird nur noch die populär-populistische Kultur – ich habe aufgehört, mit meiner Band zu spielen.“
Trotzdem verzichten
„Wer die Regierung kritisiert, verliert seinen Job.“Ömer Bilgiç*, Komponist
Bachmann und ihr Quartett später beim Auftritt in der heute als Konzertsaal genutzten, mehr als 1500 Jahre alten Kirche Hagia Irene nicht auf Dekolletés, figurbetonte Kleider und offenes Haar. Im Publikum hingegen sieht man Frauen mit Kopftuch, Tschador, ja sogar Ganzkörperschleier sitzen. Und doch sind es gerade die Besucherinnen, denen dieser selbstbewusste Auftritt der Deutschen gefällt, die nach den Konzerten voller Begeisterung HandyFotos mit den Musikerinnen machen und von Saint-Saëns Cello-„Schwan“schwärmen.
Westliche Musik, die in
den Konzerten der von staatlicher Seite unterstützten Orchester und Ensembles zunehmend von den Programmen verschwindet – so wie auch Bilgiçs Werke mit einem Aufführungsverbot belegt worden sind. Bilgiç selbst wurde für eine Nacht inhaftiert, weil er am Jahrestag der Gezi-Park-Proteste in der Öffentlichkeit Akkordeon gespielt hatte. Es ist eine Politik, die die Kultur aus dem Alltagsleben verdrängt.
„So sorgt man für ein Klima der Angst – es ist ein Krieg zwischen Licht und Finsternis“, sagt der Schriftsteller Ahmet Zafer* beim Treffen im „Pera Palace“. Und doch sei es eben die Kunst, die für einen Hoffnungsschimmer sorge, hat Korkmaz beobachtet.
„Wir sind hier, um für die Menschen zu spielen“, sagt Bachmann. „Denn über die Grenzen hinweg verstehen können wir uns nur dann, wenn wir einander kennenlernen.“
Und so planen die vier für die Zukunft auch gemeinsame Auftritte mit einigen jener türkischen Musiker, die sie auf ihrer Tournee getroffen haben. In der Hoffnung, ein weiteres kleines Licht in der Finsternis zu entzünden.
* Namen von der Redaktion geändert Kampnagel: Heute, 19.30 Uhr, beim Krimifestival Elbphilharmonie: 2.12., 14 und 20 Uhr, Restkarten evtl. an der Tageskasse