Hamburger Morgenpost

Mit Klassik gegen die Angst am Bosporus

Das Hamburger Quartett Salut Salon auf Tournee in der Türkei – die MOPO war dabei

- Von CHRISTOPH FORSTHOFF

Sie wollen mit Witz und Charme die Grenzen zwischen Klassik und Unterhaltu­ng sprengen – und begeben sich dafür auch auf gefährlich­es Terrain: Das Hamburger Kammerense­mble Salut Salon war auf Tournee in der Türkei. Die MOPO war dabei – und sprach in Istanbul mit Künstlern und Musikern, die unter der Quasi-Diktatur leiden.

„Als Musiker können wir gerade in dieser Zeit ein Zeichen setzen, wenn wir in solch ein Land fahren und den Austausch mit den Künstlern dort suchen“, sagt Salut-Salon-Gründerin Angelika Bachmann. In einer Zeit, in der immer mehr türkische Kulturscha­ffende aus Angst vor Repressali­en nicht offen sprechen und ihre Namen nennen mögen. Wo hier am Bosporus wie auch im übrigen Land Theater, Opernhäuse­r und Kulturzent­ren geschlosse­n, Musiker und Schauspiel­er zu Verkäufern und Lehrern werden, um ihren Lebensunte­rhalt zu sichern.

Bachmann hat im Istanbuler Gründerzei­t-Hotel „Pera Palace“ein Treffen mit einheimisc­hen Künstlerko­llegen vereinbart. Und was die zu erzählen haben, klingt finster. „Entweder bleibt man sich selbst und seinen Idealen treu und damit hungrig – oder man unterstütz­t dieses diktatoris­che System und wird satt.“Bedächtig formuliert Ömer Bilgiç* seine Worte – und doch schwingen unüberhörb­ar Bitterkeit und Wut in der leisen Stimme des 41jährigen Komponiste­n mit. „Wer die Regierung kritisiert, verliert seinen Job.“„Früher gab es nicht nur zahlreiche Jazzclubs in Istanbul, sondern ich konnte als Sängerin auch Konzerte in Hotels geben“, erzählt Azra Melek* – heute sind gerade mal noch eine Handvoll Jazzhäuser in der 15-Millionen-Einwohner-Stadt geöffnet. Und der Trompeter Yusuf Korkmaz* ergänzt: „Gefördert wird nur noch die populär-populistis­che Kultur – ich habe aufgehört, mit meiner Band zu spielen.“

Trotzdem verzichten

„Wer die Regierung kritisiert, verliert seinen Job.“Ömer Bilgiç*, Komponist

Bachmann und ihr Quartett später beim Auftritt in der heute als Konzertsaa­l genutzten, mehr als 1500 Jahre alten Kirche Hagia Irene nicht auf Dekolletés, figurbeton­te Kleider und offenes Haar. Im Publikum hingegen sieht man Frauen mit Kopftuch, Tschador, ja sogar Ganzkörper­schleier sitzen. Und doch sind es gerade die Besucherin­nen, denen dieser selbstbewu­sste Auftritt der Deutschen gefällt, die nach den Konzerten voller Begeisteru­ng HandyFotos mit den Musikerinn­en machen und von Saint-Saëns Cello-„Schwan“schwärmen.

Westliche Musik, die in

den Konzerten der von staatliche­r Seite unterstütz­ten Orchester und Ensembles zunehmend von den Programmen verschwind­et – so wie auch Bilgiçs Werke mit einem Aufführung­sverbot belegt worden sind. Bilgiç selbst wurde für eine Nacht inhaftiert, weil er am Jahrestag der Gezi-Park-Proteste in der Öffentlich­keit Akkordeon gespielt hatte. Es ist eine Politik, die die Kultur aus dem Alltagsleb­en verdrängt.

„So sorgt man für ein Klima der Angst – es ist ein Krieg zwischen Licht und Finsternis“, sagt der Schriftste­ller Ahmet Zafer* beim Treffen im „Pera Palace“. Und doch sei es eben die Kunst, die für einen Hoffnungss­chimmer sorge, hat Korkmaz beobachtet.

„Wir sind hier, um für die Menschen zu spielen“, sagt Bachmann. „Denn über die Grenzen hinweg verstehen können wir uns nur dann, wenn wir einander kennenlern­en.“

Und so planen die vier für die Zukunft auch gemeinsame Auftritte mit einigen jener türkischen Musiker, die sie auf ihrer Tournee getroffen haben. In der Hoffnung, ein weiteres kleines Licht in der Finsternis zu entzünden.

* Namen von der Redaktion geändert Kampnagel: Heute, 19.30 Uhr, beim Krimifesti­val Elbphilhar­monie: 2.12., 14 und 20 Uhr, Restkarten evtl. an der Tageskasse

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Sie bringen Klassik mit Witz auf die Bühne: Salut Salon mit Angelika Bachmann (2. v. l.)
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 ??  ?? Selbstbewu­sster Auftritt: Salut Salon bei ihrem Konzert in der ehemaligen Kirche Hagia Irene in Istanbul
Selbstbewu­sster Auftritt: Salut Salon bei ihrem Konzert in der ehemaligen Kirche Hagia Irene in Istanbul

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