Mein Online-Date mit der betrügerischen Jennie
„Wie kann man nur so naiv sein?“„Wer auf so etwas reinf llt, ist selbst schuld!“So oder so ähnlich haben Leser reagiert auf die Geschichte des Hamburgers Tobias H. (63), der Opfer eines sogenannten Love-Scammings wurde: Die 39-jährige USAmerikanerin Jennie – die es wahrscheinlich gar nicht gibt – nahm bei Facebook Kontakt mit ihm auf. Und ohne sie je gesehen, je gesprochen zu haben, verliebte er sich. Schon wenige Wochen später war er 60 000 Euro ärmer.
Wie ist so etwas möglich? Diese Frage haben wir uns auch in der MOPO-Redaktion gestellt – und starteten einen Selbstversuch. Am Morgen des Silvestertages nehme ich über Facebook Kontakt mit Jennie auf. Was folgt, ist ein Trommelfeuer von Chatbeiträgen: Von morgens früh („Guten Morgen, Honey, wie hast du geschlafen?“) bis abends spät („Gute Nacht, Sweetheart, ich werde süß von dir träumen und freue mich, dich nächste Woche in die Arme zu schließen“) schickt sie unablässig Beiträge: 323 Nachrichten, einige Bilder der eher unanständigen Sorte inklusive.
Tobias H., Jennies Opfer, sagt heute, er habe das Gefühl, einer Gehirnwäsche ausgesetzt gewesen zu sein. Jennie – obwohl er nicht einmal mit ihr telefoniert hat – wurde sie für ihn innerhalb kürzester Zeit zum wichtigsten Menschen. Anfangs fällt es mir schwer, Tobias H.s Handeln zu verstehen. Könnte mir das auch passieren?. Meine erste Reaktion: Ich glaube nicht! Nach dem Selbstversuch aber bin ich mit meinem Urteil etwas vorsichtiger...
Englisch-Lehrerin sei sie, 39 Jahre alt, habe früher in Bremen an einer amerikanischen Schule unterrichtet. Jetzt lebe sie in Madrid und sei leider arbeitslos. Das ist Jennies Legende. Sie sei Single, sehr unglücklich. Auf eine Silvesterparty sei sie nicht eingeladen. Sie werde die Kirche besuchen und dann früh zu Bett gehen. Wie nebenbei bemerkt sie vom ersten Moment an, dass sie unter furchtbaren Zahnschmerzen leidet, sie aber das Geld nicht habe, die hohe Arztrechnung zu zahlen.
Ich muss schmunzeln, weil ich weiß, dass es bei Tobias H. genauso angefangen hat. 350 Euro für den Zahnarzt – das war der Beginn des Unheils. Am Ende war er ein Vermögen los.
Mich fragt Jennie nicht nach Geld. Noch nicht. Erst mal versucht sie, sich in mein Leben zu schleichen. Will wissen, ob ich Frau und Kinder habe, welchen Beruf und wie ich lebe. Ich erzähle ihr, ich sei Arzt und besäße ein schönes Haus mit Elbblick, das ich alleine bewohne. Das gefällt ihr. Sie erzählt, dass sie Kinder möchte und davon träumt, in meinen Armen zu liegen. Dann schickt sie mir Montagmorgen Fotos, auf denen unter anderem Brüste und eine Vagina zu sehen sind. „Mein Neujahrsgeschenk für dich“, schreibt sie – um dann wieder von den Zahnschmer-