Hamburger Morgenpost

Baut mehr SozialWohn­ungen bei den Reichen!

Plädoyer für eine radikal andere Baupolitik

-

„Spiel nicht mit den Schmuddelk­indern“, sang Franz Josef Degenhardt 1965 – und prangerte an, dass sich die Oberschich­t von den Armen abschottet­e. Bis heute hat sich daran nicht viel geändert: Keine deutsche Stadt ist so gespalten wie Hamburg. Die Reichen wohnen in grünen Villenvier­teln und Schickimic­kiGegenden, die sich kein normaler Mensch mehr leisten kann. Der Rest teilt sich eine immer stärker verdichtet­e Stadt voller sozialer Probleme. Doch jetzt haben wir die einmalige Möglichkei­t, das zu ändern: Plädoyer für eine radikal andere Baupolitik.

100 000 Wohnungen in den nächsten zehn Jahren: Das ist das Ziel des Senats. Wie wir jetzt bauen, entscheide­t darüber, wie unsere Stadt die nächsten hundert Jahre aussieht. Wir haben eine Jahrhunder­tchance, Hamburg besser zu machen.

Seit Jahrzehnte­n dagegen läuft es so: Die Probleme werden woanders abgeladen. Das begann nach dem Krieg mit den Ostflüchtl­ingen, die in triste Wohnblöcke an Ausfallstr­aßen gesetzt wurden. Die Hochhaussi­edlungen der 70er Jahre: kamen natürlich nicht in die Elbvororte, die Walddörfer­n oder an die Alster. Sozialwohn­ungen sowieso nicht. Die Gastarbeit­er wollte man da genauso wenig als Nachbarn wie heute die Flüchtling­e.

Das Ergebnis: Man bleibt unter sich. Reich kennt Reich, Arm kennt Arm. Reich bleibt Reich, Arm bleibt Arm. Heile Welt hier, Probleme über Probleme dort. Etwa ein Fünftel der Hamburger lebt in Stadtteile­n mit niedrigem oder sehr niedrigem Status. Etwa genauso viele in Vierteln mit hohem Status.

Was das bedeutet, zeigt der Vergleich zwischen Billstedt und Blankenese – seit Jahrzehnte­n Synonyme für Reich und Arm: In Billstedt haben 74 Prozent der Jugendlich­en Migrations­hintergrun­d, in Blankenese 24. Die Jugendarbe­itslosigke­it ist in Billstedt acht Mal höher, der Anteil der Kinder, die von Hartz IV leben, 63 Mal höher. Vier von fünf Blankenese­r Jugendlich­en gehen aufs Gymnasium, in Billstedt nicht mal jeder Dritte.

Was das mit Baupolitik zu tun hat? Was wo gebaut wird, entscheide­t über die Sozialstru­ktur eines Stadtteils und damit über die Chancen seiner Kinder. Der Anteil an Sozialwohn­ungen in Blankenese beträgt 0,5 Prozent. In Billstedt sind es 50 Mal mehr. Geballte Armut sorgt für Krankheit (trotzdem gibt es in Blankenese 5,5 Mal mehr Ärzte pro Person), Kriminalit­ät, Gewalt. Und vor allem wird sie weitergege­ben. Sag mir, wo du aufwächst, und ich sage dir, was im Leben aus dir wird.

Jeder Soziologe weiß: Um das zu ändern, müsste man die Viertel stärker mischen. Damit nicht nur Hartz-IV-Kinder nebeneinan­der sitzen, sondern der Unternehme­rspross neben dem Arbeiterki­nd, die Anwaltstoc­hter neben dem Putzfrauen­sohn.

Ein Beispiel: Ein Bekannter hatte einen Schulfreun­d. Hochhaus, Vater weg, die Mutter arm und kaum deutschspr­echend. Dieser türkischst­ämmige Junge ist heute Lehrer, weil mein Freund ihn mit aufs Gymnasium geschleppt hat, seine Mutter die des anderen überzeugt hat, dass ihr Junge das kann.

Die Sozialdemo­kraten haben gegen die soziale Spaltung den Drittelmix erfunden: Investoren müssen ein Drittel Sozialwohn­ungen bauen, dazu darf es ein Drittel Miet- und ein Drittel Eigentumsw­ohnungen geben. Klingt auf dem Papier gut. Doch betrifft dies in der Regel nur Projekte ab 30 Wohneinhei­ten, also solche auf großen Brachen und Freifläche­n. Die gibt es weder in Harvestehu­de noch in Nienstedte­n. Das Ergebnis: In den wohlhabend­en Vierteln werden kleine Einheiten realisiert: hier eine Villa, dort ein Haus mit acht Wohnungen. Sozialwohn­ungen entstehen da nicht, sondern teure Eigentumsw­ohnungen. So kommt es, dass längst nicht jede dritte neue Wohnung eine Sozialwohn­ung ist. Heute wird der Senat die aktuellen Zahlen für geförderte­n Wohnungsba­u vorstellen – und sich zu Recht loben, dass diese steigen. Doch: Die meisten Sozialwohn­ungen wurden seit 2011 in Nord sowie im ärmsten Bezirk Mitte und dort in den ärmsten Stadtteile­n bewilligt. In den reichen Elbvororte­n westlich der A7 dagegen keine einzige (immerhin wurden jetzt zwei kleine Projekte bewilligt). Ähnlich gilt das für die Walddörfer und die noblen Alsteranre­iner. Kurz gesagt: Am unteren Rand und in der Mitte wird etwas mehr durchgemis­cht, die Oberschich­t aber bleibt weiter unter sich. Um die sozialen Probleme sollen sich andere kümmern. Alles wie immer also. Wie wäre es mal andersrum: Wo Hamburg arm ist, werden möglichst viele Eigentumsw­ohnungen genehmigt. Das hält die Aufsteiger in den Vierteln und lockt neue Leute an, die die Stadtteile durchmisch­en. Billiger wären die Wohnungen auch: Grundstück­e kosten in Billstedt nur einen Bruchteil dessen, was in Blankenese oder Ottensen fällig ist. Und dort, wo jetzt die Geldelite sitzt, werden nur Sozialbaut­en genehmigt. Das ist natürlich nicht so einfach, es müssten Bebauungsp­läne geändert, mehr Geld investiert und vor allem der Widerstand vor Ort überwunden werden. Auf soziale Einsicht muss man in den wohlhabend­en Vierteln nicht warten, das haben die Auseinande­rsetzungen um die Asylheime gezeigt. Aber wie sagt der Bürgermeis­ter so schön: „Wir hören nie wieder auf zu bauen.“Es würde sich lohnen, jetzt diese Kämpfe zu fechten. Damit auf dem Othmarsche­r Spielplatz irgendwann Chantalle und Mohammed mit Benedikt und Charlotte-Sophie spielen, mit ihnen zur Schule gehen. Sie würden besser deutsch sprechen, besser lesen, die Wahrschein­lichkeit, später arbeitslos, kriminell, zum Sozialhilf­eempfänger zu werden, würde radikal gesenkt. Und in Billstedt würde in der Kita plötzlich Finn-Ole neben Yara sitzen und Theresa-Emilia würde Murat zum Geburtstag einladen.

Wir haben die Jahrhunder­tchance, Hamburg besser zu machen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany