Unsere Laura will einfach nur gewinnen
OLYMPIA Biathlon-Überfliegerin Dahlmeier könnte die erste deutsche Medaille holen. Der Trubel macht ihr zu schaffen
Niemand hat Laura Dahlmeier gefragt, ob sie „Unsere Laura“sein will. Sie wurde es kraft ihrer Taten. Vor zwei Jahren gewann sie als erste deutsche Biathletin seit Magdalena Neuner (2012) WM-Gold. Seitdem ist sie für Deutschlands Wintersport-Fans einfach „Unsere Laura“. Diese Vereinnahmung macht der Bayerin, die der größte deutsche Star bei Olympia ist, zu schaffen. Denn sie will eigentlich einfach nur gewinnen.
„Ich bin Biathletin geworden, weil ich den Sport toll finde und auf dem Podest ganz oben stehen will“, sagt Dahlmeier, „aber nicht, weil die Fans dann bei mir an der Haustür klingeln.“
Die öffentliche Aufmerksamkeit ist jedenfalls auf die junge Biathletin fokussiert wie nie. Das ist nicht zu verhindern, wenn eine Sportlerin in elf aufeinanderfolgenden WMRennen eine Medaille gewonnen hat, zuletzt fünf Titel in Serie. Sie weiß das, kämpft nicht dagegen an: „Ich kann nicht sagen: Es ist allen egal. Das Interesse ist groß.“
Morgen startet die 24-Jährige zur besten deutschen Fernsehzeit (12.15 Uhr, ZDF und Eurosport) im Sprintwettbewerb in ihr erstes von maximal sechs Rennen – Staffel und Mixed inklusive. Sie hat es fast im Alleingang in den Beinen, die Fans zu Hause beim Blick auf den Medaillenspiegel jubeln zu lassen und dem Deutschen Olympischen Sportbund (Ziel: 19 Podestplätze) große Zufriedenheit zu bescheren. Oder das Gegenteil.
Wenn sie mit dem Hinweis, keine Maschine zu sein, die Erwartungen dämpft und beständig von dem Wunsch spricht, überhaupt erst mal ihre beste Leistung abzurufen, will das natürlich niemand hören und erst recht nicht glauben. Da Dahlmeier im vergangenen Jahr bei der WM in Hochfilzen bis auf den Sprint („nur“Silber) alle Titel gewann, wartet Wintersport-Deutschland darauf, dass sie nun weiter Goldplaketten für ihr Heimatland sammelt wie Eichhörnchen Nüsse im Herbst.
Die Rolle als Person des öffentlichen Interesses hat sie so schnell angenommen wie sie ihr aufgetragen wurde, unter einer Bedingung: „Ich bin so wie ich bin, und das Wichtigste ist, dass ich das nach wie vor sein darf.“
Seit sie als zweijähriges Kind ein Paar Langlaufski unter dem Weihnachtsbaum gefunden hat, treiben sie Talent und Ehrgeiz unaufhörlich nach oben. Mit 21 Jahren der erste Weltcupsieg, mit 22 das erste WM-Einzelgold, mit 22 der totale Triumph in Hochfilzen. Danach hätte Dahlmeier gerne die Fensterläden geschlossen, drei Tage lang niemanden gesehen. „Mein Ziel war es nie Promi zu werden, sondern Biathletin“, sagt sie.
Interviews, Selfies, Umarmungen. Es sind die Folgen des Erfolgs. Schlimm sind sie nicht unbedingt. Vor allem der phänomenale Empfang in ihrer Heimatstadt Garmisch-Partenkirchen nach der WM-Gala gab ihr Rückhalt. Es ist auch ein schönes Gefühl, unbekannte Menschen Hunderte oder wie jetzt tausende Kilometer entfernt mit der eigenen Leistung glücklich zu machen, und es kann Kraft geben, wenn Fremde voller Glück vor ihr stehen, weil sie die Siegerin aus dem Fernsehen im echten Leben erkennen. „Damit werde ich täglich konfrontiert. Die Augen glänzen“, sagt sie. „Manche sind extrem zurückhaltend, andere Personen nehmen einen sofort in den Arm. Es ist für mich schwierig da eine Grenze zu ziehen. Manches wird mir zu viel. Es wird dann schwierig, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.“
Obwohl sie zu Saisonbeginn und zum Jahreswechsel erkrankte, gelangen ihr immerhin zwei Weltcupsiege. Den anspruchsvollen Olympiakurs mag sie sowieso. Im Vorjahr bei der Generalprobe in Pyeongchang gewann sie Sprint und Verfolgung. Mit dem stumpfen, weil kalten Kunstschnee kam sie in den ersten Trainingseinheiten gut zurecht. „Wegen der Kälte muss man nur schauen, dass kein Öl mehr an der Waffe ist, damit der Verschluss nicht zu zäh geht.“ Dahlmeier liebt Biathlon einfach. Und selbst nach Erfolgen sucht sie stets nach Verbesserungsmöglichkeiten. Verändert den Schaft des Gewehrs, stellt das Training um. Im vergangenen Jahr hat sie den C-Trainerschein gemacht, um den Sport noch besser kennenzulernen. Es kann sein, dass die Erfüllung ihres Kindheitstraums Olympiasieg in ihr das Streben nach Perfektion befeuern würde. Es kann aber auch sein, dass sie in zwei Wochen alles erreicht haben wird, was der Sport ihr bietet, und sie dann die Freiheit auskosten möchte, niemandem zu gehören. Nur sich selbst.