Gratis-HVV? Dann bricht das System zusammen!
Busse und Bahnen kostenlos? Als Grüner müsste Anjes Tjarks begeistert sein. Stattdessen schimpfte er über den „peinlichen, unausgegorenen Vorschlag“. Hier erklärt der Grünen-Chef, was wirklich nötig ist, um Hamburgs Verkehr zu revolutionieren
Klar, die Vorstellung ist reizvoll: Nie wieder ein Ticket ziehen, einfach einsteigen und von A nach B kommen. Kostenloser öffentlicher Nahverkehr eben. Was sich wie eine grüne Utopie für eine bessere Welt anhört, kommt urplötzlich von der gebeutelten GroKo in Berlin. Ausgerechnet CDU, CSU und SPD stellen einen radikalen Wechsel in der Verkehrspolitik in Aussicht. Die spannende Frage lautet nun: Wäre ein kostenloser Nahverkehr von heute auf morgen möglich? Oder ist das nicht so, als würde ein Hobbyradfahrer bei der Tour de France mitfahren und ernsthaft glauben, am Ende auf dem Podium zu landen. Ich meine: Erst mal sutje.
Natürlich würde Hamburg in der Perspektive von einem kostenlosen ÖPNV profitieren. Weniger Autoverkehr, weniger Abgase, weniger Lärm – wer will das nicht? Es geht hier um handfesten Umweltschutz und mehr Lebensqualität! Aber dies braucht eine vernünftige Planung.
Klar ist: Der ÖPNV muss attraktiver werden. Sollte der Bund seinen Versprechen Taten folgen lassen, müsste er mindestens 830 Millionen Euro allein nach Hamburg schicken – das nimmt der HVV im Jahr durch Ticketverkäufe ein. Selbst wenn Hamburg einen solchen Lottogewinn kassieren würde, wäre es sinnvoll, das Geld nicht ausschließlich in die Subventionierung von Tickets zu stecken. Denn aktuell würde die Einführung eines kostenlosen ÖPNV vor allem eins bedeuten: den Kollaps des Systems.
Bereits jetzt sind viele Strecken zur Hauptverkehrszeit maximal ausgelastet: Die S3 und die S21, aber auch einige Metrobuslinien platzen aus allen Nähten. Was geschieht, wenn nun doppelt so viele Menschen diese Linien nutzen, weil sie für lau fahren können? Genau: Verkehrschaos!
Ich würde die knappe Milliarde Euro sinnvoll investieren. Mit den Mitteln könnte man die Ticketpreise senken, besonders für Dauerkarteninhaber, das Ticketsystem vereinfachen, das Schienennetz ausbauen und weitere Fahrzeuge anschaffen. Zentral ist dabei für mich nicht, ob der ÖPNV kostenlos ist oder nicht, sondern dass die Preise sinken, die Taktung besser wird und sowohl die Beförderungskapazitäten als auch die Qualität steigen. Mit dem Geld wäre ein Riesenschritt für Hamburg möglich.
Und jetzt kommt Werbung in eigener Sache! Wir Grüne treten seit jeher für Verbesserungen im ÖPNV ein und kämpfen dafür, dass Hamburg Modellstadt für moderne Mobilität wird. Wir planen an der S4 nach Ahrensburg und der S21 nach Kaltenkirchen, an der U5 zwischen Bramfeld und Osdorf und an der Verstärkerlinie S32. Im Übrigen hält sich der Bund bislang bei der Unterstützung dieser Vorhaben vornehm zurück. Sollte der Geldregen aus Berlin kommen, würde ich z. B. die S32 nach Lurup und Osdorf führen und zusätzlich die U5 am Stadion enden lassen. Denkbar wäre zudem die Verlängerung der U4 ins Reiherstiegviertel in Wilhelmsburg.
Noch etwas: Außerhalb der Stoßzeiten hat der ÖPNV freie
Kapazitäten. Eine Teilzeit-Karte könnte man für einen Euro pro Tag anbieten.
Denkbar wären Monatskarten für Schülerinnen und Schüler auf Taschengeldniveau, für 15 Euro. Pendlerinnen und Pendler könnten von niedrigeren Preisen – zwei Euro pro Tag, also 60 Euro im Monat – und einem höheren Arbeitgeberzuschuss profitieren, der wiederum steuerfrei ist. Zudem ließe sich das HVV-Tarifgebiet auf zwei Zonen, das Hamburger Stadtgebiet und die Metropolregion, reduzieren.
So sinken die Preise, während die Kapazitäten wachsen. Denn der ÖPNV wird sich nur dann gegen das Auto durchsetzen, wenn er eine komfortable, preisgünstige und zuverlässige Alternative bietet. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Lebensqualität in der Stadt würde verbessert, es gäbe weniger Luftverschmutzung, Lärm und Platzverbrauch durch Autos. Alle würden davon profitieren!
Jetzt ist es an der Bundesregierung, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Denn ohne Unterstützung aus Berlin bleibt all dies eine Utopie.
Preise senken, Netz ausbauen, mehr Fahrzeuge anschaffen – das würde viel mehr bringen. Anjes Tjarks