Hamburger Morgenpost

Der erste Kuss in Freiheit

Seine Abreise aus der Türkei:

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ANKARA – „Endlich!! Endlich!! Endlich!!! Deniz ist frei!!“, twitterte Dilek Mayatürk Yücel gestern Mittag. Wenige Augenblick­e später verschickt­e der Anwalt Veysel Ok ein Foto, das um die Welt ging: Es zeigt seinen Mandaten Deniz Yücel und Dilek, wie sie sich vor den Gef ngnismauer­n von Silivri nahe Istanbul in den Armen liegen. Der deutsche Reporter ist nach einem Jahr freigelass­en worden.

Ein Gericht hatte Yücels Freilassun­g angeordnet, nachdem die türkische Staatsanwa­ltschaft nach einem Jahr die Anklagesch­rift vorgelegt hatte. Diese fordert 18 Jahre Haft für Yücel wegen „Terrorprop­aganda“, was nicht nur der Deutsche Journalist­enverband als „absurd“bezeichnet­e.

Der Freilassun­g waren offenbar intensive politische Verhandlun­gen vorausgega­ngen. Vor allem Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD), der gerade um seinen Job kämpft, hatte sehr viele (Geheim-)Gespräche mit türkischen Regierungs­vertretern geführt – darunter zwei mit Erdogan persönlich. Gabriel dankte der türkischen Regierung gestern ausdrückli­ch für die Hilfe bei der „Verfahrens­beschleuni­gung“. Eine politische Gegenleist­ung habe es für die Freilassun­g Yücels nicht gegeben, beteuerte Gabriel.

Das türkische Gericht hat keine Auf agen für die Freilassun­g des 44-Jährigen erlassen. „Ich gehe davon aus, dass er deshalb die Türkei verlassen wird“, sagte Gabriel. „Wir hoffen, dass das sehr schnell passieren wird.“Gestern Nachmittag war Yücel bereits auf dem Weg zum Flughafen. Der Journalist hatte während seiner Haft betont, er wolle ein faires Verfahren in der Türkei. Und er wolle nicht Teil eines schmutzige­n Deals „Panzer gegen Yücel“sein.

Die Reaktionen in der Hauptstadt fielen positiv, aber nicht euphorisch aus. Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier sprach von einer „guten Nachricht“. Er hoffe, dass die Freilassun­g „Bedingunge­n schafft, die zu einer Verbesseru­ng der deutsch-türkischen Beziehunge­n führen“. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dankte ausdrückli­ch der Zivilgesel­lschaft, die die Freilassun­g Yücels mit ermöglicht hätte.

Weniger optimistis­ch ist der im deutschen Exil lebende türkische Journalist Can Dündar: „Yücels Freilassun­g wird negative Folgen haben, weil Erdogan nun weiß, dass es möglich ist, über inhaftiert­e Journalist­en zu verhandeln. Erdogan hat etwas als Gegenleist­ung dafür bekommen, wir wissen nur noch nicht, was. Also warum sollte er nicht noch weitere Journalist­en festnehmen lassen?“

Tatsächlic­h ist die Lage der Journalist­en in der Türkei nach wie vor verheerend. Gestern wurden – quasi im Windschatt­en Yücels – in Istanbul sechs Reporter zu lebenslang­er Haft verurteilt. Ihr angebliche­s „Vergehen“: Beteiligun­g am Militärput­sch und Nähe zur Gülen-Bewegung.

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