Hamburger Morgenpost

Auf den Straßen von Hamburg

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Immer wieder taste ich die Stelle ab. Ich spüre ein starkes Pochen, das auf mein Ohr drückt, manchmal bis zum Auge ausstrahlt. Ich kaue ständig und bewege meinen Kiefer, um den Druck auszugleic­hen. Ich lebe mit einer Entzündung im Kopf.

Das erste Mal hat ein Arzt, der umsonst Menschen ohne Krankenver­sicherung behandelt, mein Ohr untersucht. Seine mobile Praxis ist für schwierige­re Fälle nicht ausgestatt­et. Die Antibiotik­a lassen die Schwellung zumindest für eine Zeit lang verschwind­en.

Ich nahm meine Gesundheit lange viel zu selbstvers­tändlich. Besonders wird es mir bewusst, wenn ich jemanden sehe, dem es sehr schlecht geht. Ich sollte mehr auf meinen Körper achten. Die Beule stört mich vor allem aus einem Grund: Andere können sie sehen. Mir geht es wieder mehr um meine Eitelkeit. Um das Aussehen. Nicht um die Sorge, dass die Entzündung in mein Blut gelangen könnte und ich eine lebensgefä­hrliche Blutvergif­tung bekomme, so hat es der Doktor gesagt.

Ich ging weiter zum nächsten Arzt. Doch ich wurde nirgendwo untersucht. „Keine Krankenver­sicherung“, war die Begründung der Arzthelfer­in an der Rezeption. Ich bin in die Notaufnahm­e gegangen. Ich sollte das Ohr „von außen nach innen massieren“und „saure Sachen“zu mir nehmen. Damit wurde ich entlassen.

Das ging mir mit meinem Ohr so. Das ging mit meinen Zähnen so, die entweder ausgeschla­gen oder verfault waren. Erst über einen guten Freund kam ich zu einem Zahnarzt, der mich behandelte.

Nun bekam ich Post von der Krankenkas­se. Sie fordert eine Rückzahlun­g von fast 5000 Euro aus der Zeit auf der Straße. Obwohl ich nie eine Leistung für irgendetwa­s erhielt! Inzwischen hat das Hauptzolla­mt den Fall übernommen und droht mit Gerichtsvo­llzieher und Vollstreck­ungsbesche­id. Jedes Telefonat wird blockiert und weil diese Forderung offen ist, kann ich mich nicht versichern. Meine Medizin zahle ich auf Privatreze­pt. Zum Glück habe ich die Leute von Ankerherz, die mich bei solchen Angelegenh­eiten unterstütz­en. Mit ihnen komme ich weiter. Der nächste Weg führt mich zum Einwohnerm­eldeamt. Dort werde ich versuchen, meine Obdachlosi­gkeit belegen zu lassen. Vielleicht hat die Krankenkas­se dann ein Einsehen.

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„Während eines Auftritts spüre ich keinen Schmerz“, sagt der Bramfelder, der manchmal mit seinem gesamten Gewicht nur an einem Haken hängt.

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