Hamburger Morgenpost

„Am liebsten habe Kohl und Schröder

Ulrich Wickert schaut auf sein Leben zurück. Einblicke in den Alltag des Top-Journalist­en

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„Mr. Tagestheme­n“liest morgen Abend (20.30 Uhr) in der Buchhandlu­ng Heymann in der Osterstraß­e (Eimsbüttel) aus seinem neuesten Werk „Nie die Lust aus den Augen verlieren. Lebensthem­en“. Die MOPO sprach im Vorfeld mit Ulrich Wickert.

MOPO: Wann haben Sie den Entschluss gefasst, Journalist zu werden?

Ulrich Wickert: Ich wollte nie Journalist werden. Als ich so 16, 17 war und überlegte, was ich später mal machen will, dachte ich mir: Ach, ich werde das, was mein Vater ist, Diplomat. Wir lebten in Paris, er fuhr um 9 Uhr ins Büro, kam zum Mittagesse­n nach Hause, machte eine Siesta, fuhr wieder ins Büro und ging abends mit meiner Mutter und interessan­ten Leuten in Restaurant­s. Das ist toll als Beruf, habe ich mir gesagt. Und dann habe ich deswegen angefangen, Jura zu studieren – das musste man seinerzeit, um Diplomat zu werden –, hatte dann aber das große Glück, dass ich nach dem dritten Semester ein Stipendium für die USA bekam. Dann geh ich nach Amerika und stelle fest: Die Welt ist viel zu groß und viel zu schön, um Beamter zu werden.

Nun hatte ich als Hobby immer schon geschriebe­n. Ich hatte als 14-Jähriger meinen ersten Artikel für die Kinderseit­e der „Rhein-Neckar-Zeitung“in Heidelberg verfasst, machte später Schülerzei­tungen. Und als ich nach dem Studium überlegte: Was machst du mit deinem Leben, da fragte ich jemanden beim Hessischen Rundfunk, ob ich nicht mal was für ihn schreiben könnte. Ich schrieb zwei, drei Monate an dem Text und bekam 1500 Mark Honorar – ein Wahnsinnsg­eld. Ich konnte mir ein Telefon und ein gebrauchte­s Auto leisten. Dann schrieb ich auch für einen Bekannten beim WDR, bis mir jemand sagte: Beim Fernsehen verdienst du noch mehr Geld. Ich sprach mit einem Redaktions­leiter, der erst mal sagte, er brauche niemanden. Als er dann aber erwähnte, er schicke bald ein Team nach Ägypten, sagte ich gleich: Ach, Ägypten, da bin ich als junger Mann viel herumgerei­st. Ein Ortskundig­er im Team erschien dem Redaktions­leiter sinnvoll – und so kam ich zum Fernsehen. Welches Medium ist für Sie denn inzwischen reizvoller – das Fernsehen oder das geschriebe­ne Wort? Das hält sich die Waage. Ich lebe zwar mittlerwei­le mehr im geschriebe­nen Wort, aber das Bewegtbild ist nach wie vor ein unglaublic­h spannendes Medium. Ich habe durch die Arbeit beim Fernsehen viel gelernt, was das Schreiben betrifft: Man muss in Bildern sprechen. Man darf nicht abstrakt theoretisi­eren, sondern muss auch Geschichte­n über Personen, über eine Handlung erzählen. Ich muss eine Dramaturgi­e aufbauen, um den Zuschauer zu fesseln. Und das ist für mich eine gute Lehre gewesen, um später Bücher zu schreiben.

Welche Gesprächsp­artner waren für Sie rückblicke­nd am interessan­testen?

Bei den Politikern gehörten sicherlich Mitterrand, Kohl, Genscher, Schröder und Helmut Schmidt dazu, alles sehr fasziniere­nde Gesprächsp­artner. Auch Günter Grass, mit dem ich dann auch befreundet war, Siegfried Lenz, den ich für einen etwas unterschät­zten Autor halte. Dann hatte ich das große Glück, dass ich eine persönlich­e Beziehung zu dem Dramatiker Eugène Ionesco in Paris aufbauen konnte. Unsere privaten Gespräche waren so spannend, dass ich mir gesagt habe: Daraus muss ich einen Film machen. Es sind wunderbare Möglichkei­ten, wenn Sie sich mit einem solchen Klassiker, dem Vater des Absurden Theaters, unterhalte­n können. Ich habe unendlich viel dadurch gelernt.

Was hatten diese so unterschie­dlichen Charaktere denn gemeinsam?

Dass sie originelle Gedanken hatten, die mich weitergebr­acht haben. Ich fragte Ionesco zum Beispiel, wie er auf seine ersten beiden Stücke gekommen ist. Und da verriet er mir, dass im Englisch-Schulbuch seiner Tochter Sätze standen wie „My tailor is rich.“Da sagte er mir. „Das sind Sätze, die niemals jemand sagen wird. Das ist so absurd, wie verrückt kann man nur sein, so was in ein Schulbuch zu schreiben?“Solche Sätze hat er dann auch in seinem Stück „Schulstun-

 ??  ?? Ulrich Wickert (75) an der Außenalste­r. Nicht nur Hamburg, auch Paris und New York zählt der Ex-„Tagestheme­n“-Moderator zu seinen „Heimaten“.
Ulrich Wickert (75) an der Außenalste­r. Nicht nur Hamburg, auch Paris und New York zählt der Ex-„Tagestheme­n“-Moderator zu seinen „Heimaten“.

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