Finderlohn und Glückshormon
Wer in der kalten Jahreszeit an die Küste Pommerns reist, sieht interessante Steine im Sand. Es ist die beste Zeit um Bernstein zu finden
In der Ferne blitzt im Dunst der tief stehenden Morgensonne ein Scheinwerfer auf. Ein Motorroller ist auf den schneebedeckten Strand von Leba eingebogen. Als er näher kommt, sieht man zwei in Winterkleidung verpackte Menschen im Sattel, in einer Halterung steckt ein Käscher mit abgeflachtem Ring. Es sind Bernsteinfischer, die die Küste absuchen. Bereit, mit ihren Wattstiefeln in die Fluten zu steigen, um im Tang zu stochern.
„Nach Stürmen im Winter herrschen die besten Voraussetzungen, Bernstein zu finden“, sagt Ewa Lehmann-Bärenklau, Besitzerin des schlossartigen „Hotel Neptun“, das mit zwei Türmchen oberhalb auf einer Düne ruht und der Strandszene etwas Barockes verleiht. Wäre da nicht das Grüppchen von Leuten, die sich warmlaufen, dann ihrer Kleidung entledigen und in die eiskalte Ostsee hüpfen. Auch in der Nebensaison hält die charmante ältere Frau den Hotelbetrieb aufrecht; gut für die, die Bernstein suchen wollen. Denn mit einem Schritt vor die Tür, steht man fast schon im Sand.
Doch dieser Morgen bringt keine Ausbeute. Dass pommersche Ostseestrände im Winter gute Chancen für Bernsteinsucher bieten, darüber täuscht dieser Tag hinweg. Denn wenn das Wasser kalt und schwer ist, bekommt Bernstein aufgrund seines geringeren spezifischen Gewichts mehr Auftrieb als im Sommer. Und ist die See dann noch aufgewühlt, wirft sie umso mehr Bernstein an den Strand.
Im Ort Leba, im Sommer proppenvoll, ist nicht viel los: herunter gelassene Rollläden, zugenagelte Buden. Das Bernsteinmuseum aber hat geöffnet. Mariusz Baranski führt Gäste durch die Ausstellung. Von Bernstein spreche man, sagt er, wenn das versteinerte Baumharz 20 Millionen Jahre und älter ist. Ist es jünger, ist es noch nicht ganz versteinert – wie im Falle von „Copal“. „Dann ist es zu weich, um es zu Schmuck weiterzuverarbeiten.“Und damit ist es eher wertlos.
Der in Polen und der Ostsee vorkommende Baltische Bernstein, das größte Vorkommen weltweit. Was den um die 40 Millionen Jahre alten „Schatz der Ostsee“so besonders macht, ist sein Variantenreichtum. Es gibt ihn honigfarben, transparent, undurchsichtig, grünlich. Und elfenbeinfarben: die seltenste Sorte, die aufgrund vieler kleiner Lufteinschlüsse so hell ist. Je nach Qualität wird er teils teurer als Gold gehandelt. „Dass Pommern so reich an Bernstein ist, liegt am Eridanus, einem großen Fluss“, erläutert der Experte. Vor Jahrmillionen transportierte der urzeitliche Strom Sedimente und Reste eines einst riesigen Koniferenwaldes in die Gegend der Danziger Bucht, wo er in einem großen Delta mündete. Großteil des in Polen zu Schmuck verarbeiteten versteinerten Harzes aus einer Bernsteinmine in der russischen Exklave Kaliningrad stammt, sind dennoch Fälschungen ein Problem, mit denen es die International Amber Association (IAA), dem Danziger Bernsteinverarbeiter-Verband zu tun bekommt. „Jeden Monat erhalten wir Fake-Bernstein sagt Chemikerin Agnieszka Klikowics-Kosior. Im IAA-Labor in der Danziger Reichsstadt nimmt sie ein schön gearbeitetes Schmuckstück in die Hand. „Man könnte es für echt halten“, sagt die Expertin und knipst eine SchwarzlichtTaschenlampe an: „Wie bei einem echten Bernstein haben die Fälscher fluoreszierende Teilchen eingearbeitet.“Damit solche Stücke es möglichst erst gar nicht in den Handel schaffen, vergibt die IAA an ihre Mitglieder, Betriebe aus weltweit 32 Ländern, Echtheitszertifikate.
Neben Kunsthandwerk und Handel, hat sich Bernstein auch die Wellness-Welt erobert. Das „Mera Spa“im „Marriott“am Strand von Zoppot setzt auf die heilende Kraft des Baltischen Bern-
steins bei Massagen. „Seit der Steinzeit verwenden Menschen Bernstein für medizinische Zwecke“, sagt Spa-Supervisor Karolina Peplińska. Vor allem der in der äußersten Schicht vorkommenden Bernsteinsäure wird heilende Kraft zugesprochen. Der positive Effekt auf die Atemwege oder das Nervensystem trete schon bei Hautkontakt ein, sagt Karolina. „Außerdem hilft es bei der Produktion des Glückshormons Serotonin.“
An der Stränden der Danziger Bucht ist es für HobbyBernsteinsucher oft ein Rätsel, das versteinerte Harz überhaupt zu erkennen. „Da wäre die Temperatur. Bernstein ist wärmer als Stein und viel leichter“, erläutert Michal vom IAA. „Und wenn man es reibt, riecht es nach Harz.
Am nächsten Morgen schweben kleine Wölken von Seenebel über der ruhig daliegenden Ostsee, darüber ein blauer, eisiger Himmel. Der schneebedeckte am Sobieszewo-Strand, den später in gebückter Haltung etliche Spaziergänger und ein Mann auf Langlaufski entlang wandern werden, ist noch menschenleer. Beste Voraussetzungen. Wir sind mit der Familie unterwegs.
Dann urplötzlich: „Ich habe einen Bernstein! Und hier, noch einer!“In einem Muschelstreifen glitzern auf der Fläche einer Spielkarte gleich fünf kleine Bröckchen. Bald haben die Kinder eine Handvoll gesammelt. Die großen Brocken haben sich womöglich die Profisammler mit UV-Licht noch in der Nacht geholt. Doch ein Blick in die Gesichter der Kinder verrät:
Es muss tatsächlich etwas dran sein an der Geschichte mit dem Glückshormon.