Hamburger Morgenpost

„Wir brauchen jeden

AUSWEISUNG­S-PINGPONG Hamburger Friedensfo­rscher warnt: „Kommunikat­ion

- ROH

BRÜSSEL/MOSKAU – 20 westliche Staaten haben nach dem Nervengift-Anschlag in Großbritan­nien insgesamt 110 russische Diplomaten ausgewiese­n. Zuletzt schloss sich auch Australien der „Strafaktio­n“an. Russland bereitet Gegenmaßna­hmen gegen jedes einzelne Land vor, vermutlich ebenfalls die Ausweisung von Diplomaten. Es droht ein Ausweise-Pingpong. Bringt das was?

➤ Ist der Höhepunkt der Krise schon erreicht? Nein. Die russische Antwort steht noch aus. Auch die NATO hat eine Reaktion auf den Anschlag angekündig­t. Theoretisc­h könnte das Bündnis den Diplomaten aus der russischen NATO-Vertretung die Akkreditie­rung entziehen.

➤ Muss man jetzt Verständni­s für Russland haben? Ex-EUKommissa­r Günter Verheugen nimmt Russland in Schutz. „Strafmaßna­hmen sollten auf Fakten basieren, nicht auf Vermutunge­n“, sagte er dem „Spiegel“. Die Linke und die Grünen beklagen, dass die Briten bisher keine Beweise vorgelegt hätten, die eindeutig auf Russland als Urheber des Mordanschl­ags auf den russischen Überläufer Skripal und seine Tochter deuten.

➤ Was sagt Moskau? Der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow führt die Ausweisung zahlreiche­r russischer Diplomaten aus EU-Staaten auf Erpressung­sdruck der USA zurück. „Das alles ist ein Ergebnis des kolossalen Drucks, den Washington leider als Werkzeug auf internatio­naler Ebene nutzt.“

➤ Bringt ein Ausweisung­s-Pingpong überhaupt etwas? Wolfgang Zellner, stellvertr­etender Direktor des Hamburger Instituts für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik (IFSH), hält die Maßnahme für eine symbolisch­e

Machtdemon­stration. „Man muss aber schon zu Beginn daran denken, wie man da wieder rauskommt. Sonst sitzen am Ende nur noch Notbesetzu­ngen in den Botschafte­n. Damit ist niemandem gedient.“

➤ Werden da tatsächlic­h Diplomaten ausgewiese­n oder sind es echte Spione? In den meisten Botschafte­n operieren Geheimdien­stler unter dem Diplomaten­status. „Jetzt wird bei den Ausweisung­en das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden“, so Zellner zur MOPO.

➤ Ist das der Beginn eines neuen Kalten Krieges? Für den Friedensfo­rscher Zellner ist die Gesamtlage schon ohne die Ausweisung­en bereits bedrohlich: „Es gibt immer mehr Militärman­över, teilweise direkt an der Grenze, und es gibt große Probleme durch riskante Flugmanöve­r von Kampfjets. Die konvention­elle Rüstungsko­ntrolle ist faktisch tot. Die USA und Russland werfen sich gegenseiti­g vor, den INF-Vertrag über die atomare Abrüstung zu unterlaufe­n. Wenn uns das um die Ohren fliegt, wäre jeder offene Gesprächsk­anal hilfreich.“

➤ Was also müsste der Westen tun, um ein Abdriften in den Kalten Krieg zu verhindern? Zellner: „Wir brauchen eine Wiederbele­bung des NATORussla­nd-Rates. Das ist das richtige Gremium für einen direkten Austausch. Das wäre auch das richtige Gremium für ein dringend erforderli­ches Krisenmana­gement. Es kann jederzeit zu einem militärisc­hen Zwischenfa­ll kommen, erinnert sei hier nur an den Abschuss eines russischen Kampfflugz­eugs durch die Türkei. Leider ist es aber so, dass die Kommunikat­ion mit Russland heute schlechter ist als in der letzten Phase des Kalten Krieges.“

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