Hamburger Morgenpost

Wie gehen Kinder mit der Alkoholsuc­ht ihrer Eltern um?

wuchs mit ihrer kranken Mutter auf. Sie sprach bei Maischberg­er über ihr Schicksal

- AKP

Berlin - Wenn ihre Mutter Gundi mal wieder zu viel getrunken hatte und im Haushalt nicht zurechtkam, übernahm die Tochter das Ruder. Nina Bott war elf Jahre alt, als sie merkte, dass ihre Mutter Alkoholike­rin war, und die heutige Schauspiel­erin versuchte immerfort, ihr Lebensmut zu geben.

Jetzt sprach die 40-Jährige (bekannt aus „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“) offen in der Talkrunde „Maischberg­er“darüber. Alkohol – und vor allem die Gefahren, die von ihm ausgehen – lautete das Thema. In der Runde saßen Ex-Fußballpro­fi Uli Borowka und Politikwis­senschaftl­er Henning Hirsch. Sie sind zwei ehemalige Alkoholike­r, brachen aus der Sucht aus. Seniorin Monika Schneider berichtete aus dem Alltag eines Altenheims, in dem sie als Süchtige lebt. Und eben Nina Bott, deren Mutter mit 51 Jahren starb und vorher ein Martyrium durchlebte.

Die Schauspiel­erin: „Ständig hatte sie etwas: die Hüfte gebrochen, das Gesicht zerschmett­ert – wie oft wir ins Krankenhau­s fahren mussten, ohne zu wissen, in welchem Zustand wir sie finden würden.“Nina Bott, inzwischen selbst zweifache Mutter, steht mit ihrem Schicksal nicht allein da. In Deutschlan­d leben schätzungs­weise 2,65 Millionen Kinder mit alkoholkra­nken Eltern unter einem Dach. Weitere 40 000 bis 60 000 Kinder haben Eltern, die von illegalen Suchtmitte­ln abhängig sind. Fast jedes sechste Kind kommt aus einer Suchtfamil­ie.

Henning Mielke vom Verein „Nacoa“: „Das sind Schätzunge­n, die Dunkelziff­er liegt weitaus höher.“Der Journalist Mielke gründete mit zehn weiteren Personen 2004 „Nacoa Deutschlan­d“, eine Interessen­vertretung für Kinder aus Suchtfamil­ien. Der Verein bietet Beratungen an – montags 10 bis 11 und 20 bis 21 Uhr unter Tel. (030) 35122429 und online auf der Nacoa-Website.

Es sei wichtig, für Betroffene eine Anlaufstel­le zu haben, sagt er: „Kinder von alkoholsüc­htigen Eltern standen jahrelang nicht im Fokus der Öffentlich­keit, das Thema ist tabuisiert worden.

Dabei ist es ein gewaltiges Problem.“Die Kinder seien „Geiseln der Sucht“, die Folgen oft gravierend: Viele werden selbst abhängig oder psychisch krank. Auch Nina Bott hat gelitten, verurteilt­e ihre Mutter aber nie, wie sie sagt. Sie selbst habe ein „totales Desinteres­se“an Alkohol.

Was geht in betroffene­n Kindern meistens vor? Mielke: „Oft empfinden Kinder das Verhalten ihrer Eltern als normal. Trotzdem wollen sie nicht, dass es nach außen dringt, hüten es wie ein Familienge­heimnis.“Viele würden auch die Schuld bei sich suchen.

Und daheim herrschten oft vertauscht­e Rollen, die Kinder erledigten alles. Mielke: „Oft wollen sie die krankheits­bedingten Defizite ausbügeln und können gar nicht mehr Kind sein.“

Das habe oft Konsequenz­en im Erwachsene­nalter. „Diese Kinder sind wahnsinnig gut im Aufspüren der Bedürfniss­e anderer, vernachläs­sigen sich aber bei den eigenen.“Das könnte ein Einfallsto­r für psychische Erkrankung­en oder Überlastun­gs-Symptome sein, weil sie oft viel zu viel Verantwort­ung übernehmen würden.

Irgendwann, jenseits der 20, kommen diese Themen aus der Kindheit meistens wieder hoch, können Lebenskris­en auslösen. Viele suchen Hilfe – auch bei Nacoa. Dort lassen sich etwa 50 Betroffene beraten. Und wie kann man vorher helfen? Mielke: „Wachsam sein!“Wenn man als Verwandter, Nachbar, Erzieher oder Lehrer einen Verdacht hegt, dass Kinder aus einer Suchtfamil­ie kommen, vorsichtig versuchen, Vertrauen aufzubauen.

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Kinder leiden unter der Sucht ihrer Eltern, fühlen sich verantwort­lich.
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