Wir brauchen nicht noch mehr Spielplätze!
Ein Plädoyer für selbstbestimmtes Spielen, mehr Freiheit und Abenteuer
Jauchzende Kinder auf Rutschen und Schaukeln, tratschende Mütter am Sandkastenrand – bei schönem Wetter wirken Spielplätze wie gesellige, fröhliche und sehr sinnvolle Orte. Denn: Wo sollten die Kinder denn sonst spielen? Und wo können Mütter und Väter so unkompliziert einander begegnen und sich austauschen? Doch so wie immer wieder Mütter und Väter hinter vorgehaltener Hand darüber stöhnen, dass es ihnen eine Last sei, auf dem Spielplatz sitzen zu müssen, dass ihnen die anderen Eltern zu übereifrig oder zu nachlässig, zu hipstermäßig oder zu asozial seien, so werden Spielplätze mindestens seit 50 Jahren – zu Recht – infrage gestellt.
„Das Versagen der städtischen Umwelt ist direkt messbar an der Zahl der Spielplätze“, urteilte beispielsweise 1978 Hermann Mattern, Professor für Landschaftsgestaltung an der TU Berlin. Auch wenn infolge des gesellschaftlichen Auf ruches der 68er auch die Spielbedingungen der Kinder verbessert werden sollten – indem man die gesamte Stadt zum Spielplatz deklarieren wollte –, hat sich in der Zwischenzeit nicht viel geändert. Ein Enfant terrible der Spielplatzbranche, der Spielplatzplaner Günter Beltzig, wird nicht müde zu betonen, dass der Spielplatz, egal wie geplant, eigentlich fürchterlich sei. Er schließe Kinder vom Rest der Gesellschaft aus, und überhaupt sei es für Kinder viel schöner, in der ungestalteten Wildnis zu spielen. So wie er es in den Trümmern der Nachkriegszeit habe tun können. Was Beltzig so unverblümt ausdrückt, während er gerade womöglich den x-ten Spielplatz irgendwo auf der Welt plant – ob in New York oder im oberbayrischen Dorf – so ähnlich denken viele. Eigentlich finden wir dieses Gedöns, dieses ewige Über-Organisieren doof. Wir sehnen uns alle nach unserer unverplanten, viel freieren Kindheit, wo wir ohne Riesenrutsche und Vogelnestschaukel auskamen.
Aber: Da ist ja das Jetzt. Da sind ja unsere Kinder. Und das würde ja grober Vernachlässigung gleichkommen, unseren Liebsten nicht die allergrößte Sorg- und Achtsamkeit zukommen zu lassen. Auch wenn wir es eigentlich alles übertrieben finden, so nehmen wir doch alles wahr, was ihnen ihren Weg ebnen könnte. Baby-Massage, BabySchwimmen, Baby-Mozart. Und natürlich nur die allerwunderschönsten Spielplätze, selbstverständlich von den Kindern mitgestaltet.
Ja, und nun? Ist doch alles super. Genau richtig. Man wäre doch mit dem Klammerbeutel gepudert, irgendetwas dagegen zu haben. Was ließe sich beispielsweise gegen den Spielplatz im neuen Baakenpark in der HafenCity bitte schön einwenden? Abwechslungsreich, spannend, die Wünsche der Kinder umsetzend.
Nun, wenn der Spielplatz das Sahnestück im Spielerlebnis der Kinder ist und sie ansonsten vollwertig spielen, indem sie in ihrer nächsten Umgebung auf Streiftour gehen, direkt in ihrer Nachbarschaft mit Kindern spielen, alleine Rad fahren, womöglich Höhlen bauen und auf Bäume klettern können und sich dabei niemand über Kinderlärm beschwert – dann ist alles in Butter. Und all die vielen durchdachten Spielplätze sind eine Art i-Tüpfelchen, Sahnestück eben.
Wenn die Kinder aber hauptsächlich auf Spielplätzen spielen, dort hingekarrt von Mama oder Papa, dann ist das keine selbstbestimmte Kindheit. Die Spielgeräte, mögen sie alle noch so toll sein, sind ja alle schon da und nicht großartig zu verändern. Es gibt nichts selbst zu bauen, nichts Umwerfendes und schon gar nichts Riskantes zu entdecken; die Kinder auf dem Spielplatz sind meist eine Zufallszusammensetzung – wie sollen da bitte schön spontane Rollenspiele entstehen („Aus Spaß bist du jetzt der Pirat und ich die Prinzessin?“).
Und dann überall diese Erwachsenen. Diese überbesorgten Mamas und die übereifrigen Papas. Noch ein Apfelschnitzchen hier, noch eine Sprosse auf der Leiter dort. „Karl, bitte nicht“. „Lotte, komm, wir müssen nach Hause“. „Du, du hast jetzt lange genug geschaukelt, hier Willi will jetzt auch mal.“
Was Kinderärzte, Psychologen und Physiotherapeuten immer wieder anmahnen, dafür setzten sich auch engagierte Pädagogen unermüdlich ein: Dass Kinder wieder mehr unbeaufsichtigt draußen spielen und eigenständiger sind. Jedes Jahr am Weltspieltag um den 28. Mai herum veranstaltet das Deutsche Kinderhilfswerk öffentlichkeitswirksame Aktionen. Dieses Jahr heißt das Motto schlicht „Lasst uns draußen spielen!“mit der Aufforderung an die Kinder, sich den öffentlichen Raum zurückzuerobern. Und an die Eltern gerichtet: Geben Sie Ihrem Kind Raum und Zeit, sich selbst draußen auszuprobieren.
Auf dass die verschiedenen Aktionen in ganz Deutschland nachhaltige Wirkung haben mögen und Kinder mehr Spielraum bekommen – vor dem Haus, auf dem Bürgersteig, auf dem Baum und vor allem im Kopf der Erwachsenen – die das Spiel der Kinder nicht zunichtemachen mit den Worten: „Das ist hier doch kein Spielplatz!“www.recht-auf-s iel.de welts ielta
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