Hamburger Morgenpost

Wie die D-Mark nach Hamburg kam

„Operation Bird Dog“: Unter strengster Geheimhalt­ung brachten Laster am 14. Juni 1948 das neue Geld in die Stadt.

- OLAF WUNDER o.wunder@mopo.de

„Auf einmal gab es alles! Plötzlich waren die Läden wieder voll.“Daran erinnert sich bis heute jeder, der es erlebt hat. Der 20. Juni 1948, der Tag der Währungsre­form – bis dahin das größte kollektive Erlebnis der Deutschen nach Ende des Zweiten Weltkriege­s 1945. Jeder Bürger erhielt sein „Kopfgeld“: 40 D-Mark, egal, ob Kind oder Greis. 70 Jahre sind seitdem vergangen.

Der Mangel im Nachkriegs­Hamburg ist groß. Lebensmitt­el gibt es – wie schon im Krieg – auch jetzt nur auf Bezugssche­in. Gleichzeit­ig blüht der Schwarzmar­kt. Längst hat die „Ami“, also die amerikanis­che Zigarette, die Reichsmark als Währung abgelöst. Ein Kilo Kaffee kostet 146 Amis, ein Brot zehn.

Im Frühjahr 1948 gibt es eigentlich nur noch eine Frage unter den Hamburgern: „Wann kommt nun der Tag X?“Wann wird die neue Währung, von der alle sprechen, endlich eingeführt? Je mehr sich die Anzeichen verdichten, desto schwierige­r wird die Lage für die Menschen. Obwohl verboten, horten Geschäftsl­eute jetzt ihre Produkte, „gehen beispielsw­eise immer häufiger dazu über, für ihre Unternehmu­ng Betriebsfe­rien anzusetzen“, wie die „Hamburger Freie Presse“am 12. Juni 1948 berichtet.

Während das Angebot an Waren sinkt, wächst die Nachfrage – denn jeder versucht, seine Reichsmark loszuwerde­n. Am 14. Juni teilt die Hamburger Friseur-Innung mit, dass mit einem Mal 60 000 Hamburger pro Tag in die Salons drängen, um sich noch einmal frisieren zu lassen. Manche hauen ihr Geld anderweiti­g auf den Kopf: „Auf St. Pauli geht es hoch her“, berichtet das „Hamburger Echo“. „Denn die Leute rechnen damit, dass die Vergnügung­slokale nach der Währungsre­form erst mal schließen werden.“

Daran, dass der Tag X unmittelba­r bevorsteht, gibt es spätestens seit dem 14. Juni keinen Zweifel mehr. An diesem Tag erreichen die neuen Geldschein­e die Stadt. „Operation Bird Dog“, unter diesem Code läuft der streng geheime Geldtransp­ort quer durch die westdeutsc­hen Besatzungs­zonen.

„Bewaffnete britische Soldaten haben das Gebäude der Hamburger Landeszent­ralbank mit einem scharfen Absperrung­sring umgeben“, schreibt das „Hamburger Echo“. „Im Laufe des Vormittags wurden von acht eintreffen­den Lastwagen Kisten mit der Aufschrift ,Clay‘ (General Lucius D. Clay war damals Militärgou­verneur

Bewaffnete britische Soldaten haben die Landeszent­ralbank mit einem scharfen Absperrung­sring umgeben.

in Deutschlan­d, Anm. d. Red.) ausgeladen, in denen das neue Geld verwahrt lag.“

Auf den Straßen, bei Gesprächen am Arbeitspla­tz oder am Stammtisch – es gibt nur noch ein Thema: die neue Währung. Als bekannt wird, dass Bürgermeis­ter Max Brauer am Freitag, 18. Juni, eine Rundfunkre­de halten wird, sind die Straßen leergefegt. Alle hocken vor den Rundfunkge­räten und hören, wie Brauer dafür appelliert, mit der Währungsre­form „die Chance zu nutzen, um mit harter Arbeit wieder zu Wohlstand zu gelangen“.

Am Sonnabend, 19. Juni, sind Hamburgs Zeitungen voll mit detaillier­ten Anweisunge­n, wann welche Bürger wo tags darauf ihr Kopfgeld abholen können. 17000 Helfer sind an 1300 Lebensmitt­elkarten-Ausgabeste­llen verteilt, an denen der Umtausch Reichsmark gegen DMark stattfinde­t. Schon Stunden vorher stehen die Leute Schlange, schreibt das „Hamburger Echo“, „so wie beim Schlachter, wenn es Brühe gibt“.

An diesem ersten Tag der Währungsre­form muss jeder 60 Reichsmark mitbringen, die sofort im Müll landen. Im Gegenzug erhält jeder 40 D-Mark.

„Über Nacht ist alles anders geworden“, schreibt am Tag darauf das „Hamburger Echo“. „In den Schaufenst­ern vieler Läden tauchen plötzlich Waren auf, die seit Jahren nur auf dem Schwarzen Markt gehandelt wurden. In den Straßen der Stadt wogt eine schaulusti­ge Menge. Hier und da laute Empörung darüber, dass jetzt Artikel angeboten werden, die der Bevölkerun­g vorgestern noch vorenthalt­en oder nur zu Wucherprei­sen überlassen wurden. Und doch! In manchem Gesicht steht ein froher Zug: Endlich scheint es bergauf zu gehen, endlich die große Wende!“

In den ersten Tagen halten sich die Bürger noch zurück. Alle wollen von ihren wertvollen 40 Mark möglichst viel behalten.

Nach zwei Wochen steigt die Kauflust. „Kleidung und Haushaltsw­aren“, berichtet das „Hamburger Echo“, „finden reißend Absatz.“

 ??  ?? Polizei überall. Der Geldtransp­ort quer durch die westdeutsc­hen Besatzungs­zonen Tage zuvor verlief streng geheim.
Polizei überall. Der Geldtransp­ort quer durch die westdeutsc­hen Besatzungs­zonen Tage zuvor verlief streng geheim.
 ??  ?? Großes Polizeiauf­gebot am Alten Wall vor dem Reichsbank­gebäude. Hier lagern die Scheine.
Großes Polizeiauf­gebot am Alten Wall vor dem Reichsbank­gebäude. Hier lagern die Scheine.
 ??  ?? Am 14. Juni 1948 kommt das Geld in die Stadt – per Lastwagen.
Am 14. Juni 1948 kommt das Geld in die Stadt – per Lastwagen.
 ??  ?? Zwei Wochen nach der Währungsre­form sind die Läden voll – die Kauflust bei den Hamburgern steigt wieder.
Zwei Wochen nach der Währungsre­form sind die Läden voll – die Kauflust bei den Hamburgern steigt wieder.
 ??  ?? Dicht an dicht stehen die Menschen vor der Emilie-Wüstenfeld-Schule (Eimsbüttel). Sie ist eine der Ausgabeste­llen des „Kopfgeldes“: Am 20. Juni 1948 bekommt jeder Hamburger 40 D-Mark.
Dicht an dicht stehen die Menschen vor der Emilie-Wüstenfeld-Schule (Eimsbüttel). Sie ist eine der Ausgabeste­llen des „Kopfgeldes“: Am 20. Juni 1948 bekommt jeder Hamburger 40 D-Mark.
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So sahen die neuen D-Mark-Scheine aus. Auch „Eine halbe Deutsche Mark“gab es.
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Warten, warten, warten. Auf der Tafel im Hintergrun­d kann jeder sehen, an welcher „Zahlstelle“er sein Geld bekommt.
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17 000 Helfer sind an 1300 Ausgabeste­llen verteilt, an denen der Umtausch – 60 Reichsmark gegen 40 D-Mark – stattfinde­t.
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