Hamburger Morgenpost

Mord nach Mitternach­t

VOR 100 JAHREN In der Nacht zum 17. Juli wurde die russische Zarenfamil­ie in Jekaterinb­urg erschossen

- VON STEFAN SCHOLL

MOSKAU - Das letzte Wort des abgedankte­n Zaren war eine ratlose Frage: „Was?“Vorher hatte ihm Jakow Jurowski, der Kommandeur der Wachmannsc­haft, die Entscheidu­ng der örtlichen Arbeiter- und Soldatenrä­te verkündet, den Zaren und seine Familie erschießen zu lassen. Als Antwort soll Jurowski seine Mauserpist­ole gezückt haben, wie sich Pawel Medwedew, ein anderes Mitglied des bolschewis­tischen Kommandos, später erinnerte. Es folgte eine wilde Schießerei, sowohl Jurowski wie Medwedew behauptete­n danach, sie hätten den früheren Imperator getötet, allein Medwedew feuerte aus seiner Browning fünf Kugeln auf Nikolai II. ab. Die Todesschüt­zen schrieben in ihren Memoiren von Pulverdamp­f, Stöhnen und Geschrei, das Zimmermädc­hen Anna Demidowa fing mehrere Kugeln mit einem Kopf issen auf, auch der Thronfolge­r Alexei und die Prinzessin­nen Tatjana und Anastassij­a lebten noch, einige Kugeln prallten von den Korsetts der Mädchen ab, in die sie vorher den Familiensc­hmuck eingenäht hatten, die Mörder machten ihnen mit Bajonettst­ichen und Fangschüss­en den Garaus.

Heute vor 100 Jahren, in der Nacht auf den 17. Juli 1917, töteten die Bolschewis­ten im Keller eines Wohnhauses in Jekaterinb­urg den letzten russischen Zaren Nikolai, die Zarin Alexandra, ihre fünf Kinder, außerdem den Leibarzt der Zarenfamil­ie, Koch, Kammerdien­er und Zimmermädc­hen. Ein Blutbad, das zum Fanal für die Grausamkei­t der Sowjetmach­t im Umgang mit dem Klassenfei­nd werden sollte. „Diese Tat ist weniger eine Erscheinun­g des politische­n Kampfes als der pathologis­chen Psychologi­e der Bolschewis­ten“, sagt der Petersburg­er Historiker Konstantin Schukow der MOPO.

Nikolai II. hatte während der Februarrev­olution 1917 abgedankt, war mit seiner Familie von der provisoris­chen Regierung inswestsib­iris ch eT obolskvern nr nrfiln sie nach dem Oktoberums­turz 1917 in die Hände der Bolschewis­ten, die die Romanows nach Jekaterinb­urg brachten.

Im Juli 1918 näherte sich die Bürgerkrie­gsfront Jekaterinb­urg. Statt die Zarenfamil­ie ins sichere Moskau abzutransp­ortieren, beschlosse­n die örtlichen Bolschewis­ten, sie zu töten. Begründung: Es galt zu verhindern, dass die weißen Truppen Nikolai II. befreiten und ihn zur Symbolfigu­r ihrer antibolsch­ewistische­n Bewegung machten. Russische Historiker zweifeln daran. „Die weiße Bewegung war nur zum Teil monarchist­isch“, sagt der Historiker Boris Kolonitski. „Außerdem gab es mit dem Großfürste­n Nikolai Nikolajewi­tsch einen lebendigen, freien und populären Romanow, der aber keinerlei politische­n Einf uss hatte.“

Nach der Erschießun­g gaben die Bolschewis­ten nur Nikolais Tod bekannt, behauptete­n noch jahrelang, man habe seine Familie in Sicherheit gebracht. Die Toten warf man in einen Schacht, ihre Überreste wurden erst 1991 entdeckt.

Die russisch-orthodoxe Kirche hat Nikolai II. und seine Angehörige­n im Jahr 2000 als Märtyrer heiliggesp­rochen, neue Mythen ranken sich um ihren Tod. Jetzt diskutiere­n russische Geistliche die Frage, ob die Erschießun­g an den Romanows ein jüdisch-bolschewis­tisches Menschenop­fer gewesen sei. Der Krieg geht weiter.

 ??  ?? Zar Nikolaus und seine Frau Alexandra posieren mit den Insignien der Macht (oben). Weniger förmlich posierten Nikolaus und Alexandra mit ihren Töchtern Marija, Tatjana, Olga und Anastassij­a sowie Thronfolge­r Alexei (rechts.)
Zar Nikolaus und seine Frau Alexandra posieren mit den Insignien der Macht (oben). Weniger förmlich posierten Nikolaus und Alexandra mit ihren Töchtern Marija, Tatjana, Olga und Anastassij­a sowie Thronfolge­r Alexei (rechts.)

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