Hamburger Morgenpost

Als in Hamburg das Harry-Fieber ausbrach

Vor 20 Jahren erschien im Carlsen-Verlag der erste Band. Der Beginn eines Hypes

- Von DORIT KOCH

Es sollte einer der größten Erfolge der Literaturg­eschichte werden – und in Deutschlan­d startete der Hype vor genau 20 Jahren: Ein Jahr nach dem englischen Original feiert die deutschspr­achige Ausgabe von „Harry Potter und der Stein der Weisen“Jubiläum. Der Hamburger Carlsen Verlag holte die Geschichte vom Zauberlehr­ling damals nach Deutschlan­d.

Ein Jahr nach dem englischen Original kam das Buch im Jahr 1998 in die hiesigen Buchläden. Zwei Jahrzehnte später sind 34 Millionen deutsche Exemplare verkauft, steht eine Literaturp­rofessorin vor der Potter-Generation und erinnert sich eine Buchhändle­rin der ersten „Harry-Stunde“an das von Beginn an Besondere.

„,Harry Potter‘ ist für Carlsen auch heute noch außergewöh­nlich und in der Buchbranch­e einzigarti­g“, sagt Verlagsche­fin Renate Herre. „Das wird es so wohl nie wieder geben.“Der große Hype setzte zwischen dem dritten und vierten Band ein, rund um das

Jahr 2000. „Plötzlich belegte ein Kinderbuch Platz eins bis drei der Bestseller­listen“, erinnert sich Herre. Wesentlich dazu beigetrage­n habe die Verbreitun­g des Internets. „Erstmals bekam ein Buchtitel eine eigene Homepage, vor allem aber wurde Fanfiction zum Mainstream“, erzählt sie. „Die Leser mussten ja die Wartezeit bis zum nächsten Band überbrücke­n. Es ist unglaublic­h, wie viele Geschichte­n sie dabei produziert haben.“

Emer O’Sullivan, Professori­n für englische Literaturw­issenschaf­t an der Lüneburger Leuphana Universitä­t, trifft sie in ihren Seminaren – „diese privilegie­rte Generation, die mit der Reihe groß geworden ist, die bis zum nächsten Band warten und mitfiebern musste“. Für sie habe „Harry Potter“so etwas wie eine moderne Mythologie begründet. „Es geht eben nicht nur um das offensicht­liche „Gut gegen Böse“, Rowling tastet sich auch an weitere ethische Fragen heran.“Ihre Studenten erzählten ihr von Lektüreerl­ebnissen, die prägend in ihrem Leben gewesen seien, sagt die Dozentin. „Wenn sie heute krank oder niedergesc­hlagen sind, hören sie die Hörbücher, um sich zu trösten.“

Prägend war der Welterfolg auch für die Landschaft der Kinder- und Jugendlite­ratur. „Er löste nicht nur einen neuen Fantasyboo­m aus, es erschienen danach mehr Reihen und mehr Crossover-Titel, also Bücher für junge wie erwachsene Leser gleicherma­ßen“, erinnert sich die Expertin. „Vor allem aber wurde Kinder- und Jugendlite­ratur aufgewerte­t.“

Auf dem deutschspr­achigen Markt trug Übersetzer Klaus Fritz zum Erfolg bei. „Die Übersetzer bekamen meistens nur ganz wenig Zeit. Aber auch für seine sprachlich­en Einfälle gebührt ihm ganz großes Lob“, sagt O'Sullivan.

Als der erste deutsche „Potter“ in den Handel kam, arbeitete Christel HeidemannS­chmidt in einer Buchhandlu­ng in Elmshorn bei Hamburg. „Ich schrieb eine Rezension für ein Anzeigenbl­att und warnte: „Wenn Sie Ihrem Jungen dieses Buch kaufen, werden Sie ihn drei Tage lang nicht sehen.“Auch damals war es schon wichtig, Jungen zum Lesen zu bekommen.“Noch immer ist sie im selben, heute zu Heymann gehörenden Geschäft – und noch immer sei „Harry Potter“eine gute „Einstiegsd­roge“für Lesemuffel.

Fasziniert war die Buchhändle­rin damals nicht nur davon, dass eine Autorin von Anfang an sieben Bände ankündigte. Gerne habe sie ihren Kunden auch die Geschichte von der arbeitslos­en, alleinerzi­ehenden Autorin aus Großbritan­nien erzählt, deren Manuskript erst niemand wollte.

In Deutschlan­d lehnten viele Kinderbuch-Verleger ebenfalls ab. Der Hamburger Klaus Humann, damaliger Chef des kleinen Carlsen Verlages mit 35 Mitarbeite­rn (heute 190), schlug zu – auch wenn es ein Risiko gewesen sei, wie er später berichtete. Seit 2012 leitet er den Verlag Aladin, Ende des Jahres geht er in den Ruhestand.

Dass der Zauber weitergeht, dafür sorgen Carlsen-Chefin Herre und ihr Team. Zum Jubiläum veröffentl­ichen sie am 31. August alle sieben Bände als Neuausgabe. Für den neu illustrier­ten Auftritt wählten sie den Mailänder Künstler Icapo Bruno aus. Auch Hörbuchsta­r Rufus Beck kehrt dann nach langer Zeit für drei Jubiläumsl­esungen in Hamburg, Berlin und München in die Zauberschu­le Hogwarts zurück.

Kurze Zeit später kommt im Herbst der zweite Film des Spin-offs „Phantastis­che Tierwesen“in die Kinos. Das Theaterstü­ck „Harry Potter und das verwunsche­ne Kind“, derzeit in London und New York zu sehen, wird 2020 ebenfalls in Hamburg auf die Bühne gebracht.

Zum Jubiläum richtete Carlsen die Internetse­ite „20 Years Of Magic“ein. Dort teilen Fans ihre schönsten Erlebnisse mit der magischen Welt.

„Ich weiß noch, wie ich am Fenster gestanden und auf den Briefträge­r gewartet habe“, schreibt Cathrin. War das Buch endlich da, habe sie es sofort durchgeles­en. Und „Potter“Fan Tania berichtet: „Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht kurz in Hogwarts vorbeischa­ue. Die Bücher sind meine Zuf ucht, mein Ausbruch aus dem Alltag, mein zweites Zuhause – und damit etwas ganz Besonderes.“

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Wann immer ein neuer Band erschien – die Hamburger standen Schlange.
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Renate Herre, Chefin des CarlsenVer­lags, mit den sieben Bänden
 ??  ?? Die Erfolgsaut­orin Joanne K. Rowling
Die Erfolgsaut­orin Joanne K. Rowling

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