Hamburger Morgenpost

Hört auf mit diesem HochzeitsG­eprotze!

Weil die Dessertgab­eln vier statt drei Zinken hatten, war die Braut kurz vorm Nervenzusa­mmenbruch ...

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Weiß“(auch die Männer!) bis hin zur Mittelalte­rhochzeit (mit Kettenhemd­en, Holzkrügen und viel Met). Nur eines ist immer gleich: je größer und pompöser, desto besser! Hochzeiten sind mittlerwei­le ein riesiges Geschäft. Mehr als 2,5 Milliarden Euro jährlich geben Brautpaare in Deutschlan­d dafür aus. Völlig normal ist mittlerwei­le, dass fünfstelli­ge Summen für den angeblich schönsten Tag im Leben ausgegeben werden. Am besten lässt sich der Irrsinn auf den beliebten und durchs Land tourenden Hochzeitsm­essen beobachten.

Dort präsentier­en sich Stylisten, die das Brautpaar den ganzen Tag über „frisch und glamourös“halten. Sogenannte Zelebrante­n und Freiredner bieten an, mit einer emotionale­n Ansprache Familie und Freunde zu Tränen zu rühren. Und wer das Unternehme­n Hochzeit vom Beifahrers­itz aus organisier­en will, engagiert gleich von Anfang an eine Hochzeitsp­lanerin, die mit langen Excel-Listen dafür sorgt, dass von der Einladungs­karte über das Brautkleid, die Tischdeko und den Brautstrau­ß alles einem Farbkonzep­t entspricht – und perfekte Bilder für Facebook und Instagram entstehen.

Das Ganze kostet aber nicht nur Geld, sondern auch Zeit: Monate- wenn nicht sogar jahrelange Vorbereitu­ngen sind mittlerwei­le die Regel. Am Hochzeitst­ag selbst muss dann natürlich alles perfekt ablaufen, wenn nicht, gleicht das einer Katastroph­e. Raum für Spontaneit­ät? Nicht vorgesehen.

Einmal war ich Gast auf einer dieser Perfekte-LiebeHochz­eiten. Als die Braut merkte, dass die Dessertgab­eln vier statt der abgesproch­enen drei Zinken hatten, bekam sie einen hysterisch­en Anfall – so blank lagen die Nerven.

Vor Kurzem unterhielt ich mich mit einem befreundet­en Pärchen, das mitten in den Vorbereitu­ngen seiner Hochzeit steckt. „Eigentlich wollten wir ja im kleinen Kreis feiern“, gestand der künftige Bräutigam. Doch dann waren sie Gäste auf einem dieser Bombast-Feste. „Ich dachte: Das will ich auch!“, erzählt die künftige Braut. Alles wurde über den Haufen geworfen.

Aus 35 Gästen wurden 110, also musste ein anderer Party-Ort her, denn das ursprüngli­ch ausgesucht­e Restaurant bot nicht mehr genug Platz. Statt eines DJs wurde eine LiveBand gebucht, die Fotos sollte nicht mehr ein Bekannter, sondern ein Profi-Fotograf mit drei Stativen und acht Objektiven schießen.

Das alles kostet Geld, viel Geld. Und so langsam geht dem Paar die Düse. Der Plan, die Hochzeit in ein altes Schloss zu verlegen, wurde wieder verworfen – zu teuer. „Einen Kredit müssen wir zwar nicht aufnehmen, aber die Ersparniss­e sind jetzt erst mal weg“, gesteht mir mein Freund. Dass eine Studie der Emory-Universitä­t in Atlanta/USA herausgefu­nden hat, dass Ehen länger halten, je günstiger die Hochzeiten waren, verschwieg ich den beiden besser.

Für mich steht fest: Ich heirate lieber intim und ohne Glamourfak­tor, dafür aber auch ohne Finanz-Panik und Schweißper­len auf der Stirn. Zum Glück habe ich eine Frau an meiner Seite, die meine Sicht teilt: Trauung im engen Familienkr­eis, dazu die besten Freunde. Für die Wow-Effekte sorgen die Leute und nicht das Programm. Bleibt nur zu hoffen, dass ich nicht auch irgendwann denke: „Das will ich auch!“

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Größer, teurer, spektakulä­rer: Das Streben nach Superlativ­en gibt’s auch bei den Hochzeitst­orten.
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Der AutorGUNNA­R REUCHSEL (29, Volontär) ist selbst im heiratsfäh­igen Alter angekommen und muss sich immer häufiger fragen lassen, wann es so weit ist.

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