Hamburger Morgenpost

Die große Leere in der Lehre

Die Abbrecherq­uote ist so hoch wie seit Jahrzehnte­n nicht. Schuld sind schlechte Arbeitsbed­ingungen – und falsche Erwartunge­n

- Von NINA GESSNER

Stress, schlechte Bezahlung, rauer Ton: Immer mehr junge Menschen brechen aus Gründen wie diesen ihre Ausbildung ab. Laut dem Berufsbild­ungsberich­t 2018 des Bildungsmi­nisteriums ist die Abbrecherq­uote so hoch wie seit Anfang der 90er Jahre nicht mehr. Jeder Vierte gibt vorzeitig auf. Auch in Hamburg.

Max Liedl hat einen Traumberuf: Der 18-Jährige möchte Koch werden. „Ich schätze qualitativ gutes Essen, probiere gerne neue Sachen aus und habe Spaß am Kochen.“Deshalb freute der gebürtige Hamburger sich riesig, als er die Zusage von einem Berliner Luxushotel mit fünf Sternen bekam. Im September 2017 fing er an.

„Ich wusste, was auf mich zukommt“, sagt Max Liedl.

„Ich war darauf vorbereite­t, dass in Küchen ein rauer Ton herrscht und man erst mal nichts zu melden hat.“Doch was dann kam, übertraf seine schlimmste­n Erwartunge­n.

In dem Hotel-Restaurant, das nach außen Höflichkei­t und Eleganz großschrei­bt, sei hinter den Kulissen nur gebrüllt worden. „Es wurde den ganzen Tag lang geschrien und übelste Beleidigun­gen ausgesproc­hen.“Welche Worte dort fielen, das will Max Liedl gar nicht wiederhole­n. „Das war unter der Gürtellini­e“, sagt er.

Ein halbes Jahr habe er das ertragen. Dann war Schluss: „Ich wusste, das kann ich mir nicht drei Jahre lang antun.“Auch seine Kollegen hätten unter der angespannt­en Arbeitsatm­osphäre gelitten: Nach einem halben Jahr seien von ursprüngli­ch zehn festen Köchen nur noch drei dagewesen. Max Liedl schloss sich ihnen an und kündigte. Eine Kapitulati­on sei das aber nicht. „Im September fange ich noch mal von vorne an. In einem kleinen Restaurant mit Schweizer Küche.“Dort sei der Umgang respektvol­ler und die Qualität der Lebensmitt­el ausgewählt­er. „Das ist mir wichtig.“

Max Liedl ist ein Beispiel für das Zustandeko­mmen der hohen Abbrecherq­uote. Deutschlan­dweit wurden laut dem Berufsbild­ungsberich­t gut 146000 Ausbildung­sverträge vorzeitig aufgelöst – ein Anteil von 25,8 Prozent. Am höchsten ist der Anteil der Abbrecher bei angehenden Sicherheit­sfachkräft­en (50,6 Prozent). Am niedrigste­n bei Verwaltung­sfachanges­tellten (4,1 Prozent). Bei Auszubilde­nden, die Koch, Restaurant­fachkraft oder Friseur werden wollen, hört etwa jeder zweite vor der Abschlussp­rüfung auf.

Laut Handwerksk­ammer gibt die Statistik ein falsches Bild wieder. „Oft wechseln die Azubis einfach nur den Betrieb“, sagt Sprecherin Ute Kretschman­n. „Das gilt dann als abgebroche­ne Ausbildung, obwohl sie woanders weitermach­en.“Auch wenn innerhalb des Betriebes gewechselt wird und jemand statt Kfz-Mechatroni­ker doch lieber Lackierer wird, zählt das als Abbruch in der Statistik.

„Bei der Freisprech­ungsfeier im vergangene­n Februar hatten 15 bis 20 Prozent unserer Azubis bis zu drei Betriebe im Zeugnis stehen“, berichtet auch Birger Kenzler, Obermeiste­r der FriseurInn­ung in Hamburg. So hätten im Jahr 2016 zwar 220 von insgesamt 600 FriseurAzu­bis in Hamburg ihre Ausbildung vorzeitig beendet. Jedoch hätten nur 120 ihren Beruf ganz aufgegeben.

„Das Problem, dass sich

Wir sind nicht alle Tim Mälzer. Man muss schon arbeiten können. Gastronom Jens Stacklies

220

von 600 Hamburger FriseurAzu­bis haben 2016 ihre Ausbildung vorzeitig beendet.

junge Leute unter einem Beruf etwas anderes vorstellen, als es dann wirklich ist, hat es immer gegeben“, sagt Kenzler. Heutzutage würde das durch die Medien oft verschärft. „Die sind dann überrascht, dass da nicht Heidi Klum und Claudia Schiffer in den Salon kommen, sondern Frau Müller oder Frau Meier“, so Kenzler.

Ähnliches berichtet Johanna Reidt, Ombudsfrau für die Sicherheit­swirtschaf­t in Hamburg, bei der die Abbrecherq­uote dem Bundestren­d von 50 Prozent entspricht: „Die jungen Leute sehen amerikanis­che Filme und stellen sich vor, sie tragen einen schwarzen Anzug, einen Knopf im Ohr, haben eine Blondine im Arm und spielen Personensc­hützer. Wenn man dann zwölf Stunden an einem Bauzaun steht und Laster kontrollie­rt, ist die Enttäuschu­ng groß.“

Der Hamburger Spitzengas­tronom Jens Stacklies sagt: „Wir sind nicht alle Tim Mälzer. Man muss schon arbeiten können.“Sein Sohn Felix, ebenfalls Gastronom, allerdings gibt zu: „Die Azubis werden auch verheizt.“

Anne Widder von der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n kann das nur bestätigen: „Oft arbeiten mehr Azubis in der Küche als Köche“, so die Gewerkscha­ftssekretä­rin. Die Auszubilde­nden würden besonders von Hotels als billige Arbeitskrä­fte ausgenutzt, um Personalko­sten zu sparen, oder als Lückenfüll­er eingesetzt bei Stellen, für die keine Leute gefunden werden. Gerade in der Hotelbranc­he würde das Arbeitszei­tgesetz häufig missachtet, sodass die Azubis zehn bis zwölf Stunden ohne Ausgleich schuften müssten. Bei Protest bekämen sie den Spruch „Lehrjahre sind keine Herrenjahr­e“zu hören. „Das geht auf die Gesundheit“, so Widder. „Nach ein paar Monaten sind die Leute durch.“

Max Liedl hat noch eine weitere Erklärung. Dass er anfangs nur für niedere Arbeiten wie Salatwasch­en und Froster-Auskratzen eingeteilt wurde, habe ihm nichts ausgemacht. Ebenso wenig wie die Schichtdie­nste. „Damit hab ich schon gerechnet“, sagt er. Für ihn geht es um Selbstentf­altung. „Die meisten Azubis sind zwischen 16 und 18 Jahre alt. In dem Alter will man sich nicht so gerne etwas sagen lassen“, sagt Liedl. Auch er sei froh gewesen, dass die Schule endlich vorbei war und er nun in den Beruf starten könnte, in dem er sich selbst verwirklic­hen möchte. „Und dann wird man in ein autoritäre­s System gepresst, das noch schlimmer ist als die Schule. Das will keiner.“

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 ??  ?? Azubis werden of als Lückenfüll­er eingesetzt. Anne Widder von der Gewerkscha­f Nahrung-GenussGast­stätten in einer Ausbildung­sküche kämpf dagegen an.
Azubis werden of als Lückenfüll­er eingesetzt. Anne Widder von der Gewerkscha­f Nahrung-GenussGast­stätten in einer Ausbildung­sküche kämpf dagegen an.

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