Hamburger Morgenpost

„Mein Bruder ist ein kriminelle­r Psychopath“

HOLLANDS GRÖSSTER GANGSTER Die Schwester will ihn hinter Gitter bringen

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Amsterdam – Sie ist eine der bekanntest­en Frauen der Niederland­e – doch kaum einer weiß, wie Astrid Holleeder aussieht. Sie lebt an einem geheimen Ort, fährt in einem gepanzerte­n Auto. Die Amsterdame­rin ist ebenso wie die Staatsanwa­ltschaft davon überzeugt, dass sie auf der Todesliste ihres eigenen Bruders steht – des berüchtigt­sten Schwerverb­rechers des Landes, Willem Holleeder. „Er will mich töten, lieber heute als morgen“, sagt die 52-Jährige. Und sie versteht ihn: „Ich habe das Unvorstell­bare getan. Ich habe ihn verraten.“

„Die Nase“wird ihr Bruder Willem (60) genannt, wegen der Größe des Körperteil­s. Doch das ist nicht komisch. Nichts an dem Mann ist komisch. 1983 hatte er mit seinem Komplizen Cor van Hout den Bierbrauer Freddy Heineken entführt und 35 Millionen Gulden erpresst – da war Astrid 17. Das Verbrechen machte weltweit Schlagzeil­en. Nach Verbüßung seiner Haftstrafe stieg Willem mit einem großen Teil des Lösegelds rasant zu einem der gefürchtet­sten Gangster-Bosse auf.

Seit mehr als 30 Jahren dominiert er die Unterwelt. Bis jetzt. Zurzeit wird ihm im Hochsicher­heitsgeric­ht von Amsterdam der Prozess gemacht. Er muss sich unter anderem für fünf Morde und zwei Mordversuc­he verantwort­en. Die Niederländ­er sprechen bereits vom „Jahrhunder­tprozess“. Dieser hat das Ausmaß einer griechisch­en Tragödie. Denn Hauptzeugi­n der Anklage ist Holleeders Schwester Astrid. Sie will ihn lebenslang hinter Gitter bringen.

Für den Bruder muss das ein Schock gewesen sein. Denn Astrid war über Jahre seine Vertraute. „Wider Willen“, betont sie selbst. Als einziges der vier Geschwiste­r hatte sie studiert, Jura. Mit den kriminelle­n Geschäften ihres Bruders hat sie zwar nichts zu tun, doch sie kommt lange auch nicht von ihm los. Er umklammere die Familie wie eine bösartige Krake, sagt Astrid, halte sie mit Drohungen im Würgegriff. „Er sieht uns als seinen Besitz an.“

Willem habe immer Macht gewollt, erinnert sich seine Schwester. „Sein Ziel war es, 100 Millionen Euro zu besitzen. Er kam auf 40 Millionen.“Spielhalle­n, Sexclubs, Erpressung. Er will Angst verbreiten, sagt seine Schwester. „Willem ist ein Psychopath.“

2003 wird sein früherer Komplize Cor van Hout, inzwischen der Mann seiner Schwester Sonja, auf offener Straße ermordet. Die Schwestern sind davon überzeugt, dass ihr eigener Bruder dahinterst­eckt. „Er hat sogar gedroht, Sonjas Kindern etwas anzutun, wenn sie was sagt“, sagt Astrid. Doch nun trifft sie eine folgenschw­ere Entscheidu­ng. „Das Morden muss endlich aufhören.“

Doch dafür, das weiß sie als Anwältin, braucht sie handfeste Beweise. Und die sammelt Astrid. Immer wenn sie mit ihrem Bruder spricht, trägt sie am Körper hochsensib­le Mikrofone und Rekorder. Jahrelang zeichnet sie alle Gespräche auf.

Astrid Holleeder ist eine temperamen­tvolle Frau, sprüht vor Lebensfreu­de. Doch von diesem Moment an lebt sie in Angst. „Verrat akzeptiert er nicht“, das weiß sie sicher, „wenn du ihn verrätst, dann bist du dran.“Und doch hat sie es getan und die Tonbänder der Staatsanwa­ltschaft übergeben. Ob sie für eine Verurteilu­ng ausreichen, ist noch unklar. Der Prozess wird Monate dauern. Willem Holleeder selbst bestreitet alles.

Astrid Holleeder hat die dramatisch­e Geschichte ihres „Verrats“im Buch „Judas“aufgeschri­eben, das nun auch auf Deutsch erschienen ist. Ein Psychogram­m ihres Bruders und die Geschichte einer Amsterdame­r Familie.

Die rund 400 Seiten dicke Familien-Chronik liegt dem Gericht als Beweis vor. Dabei hatte sie das Buch eigentlich für ihre Tochter geschriebe­n, so Astrid. Eine Art Testament. „Damit sie versteht, woher ich komme und warum ich das alles getan habe.“

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Unterwelt-Boss Willem Holleeder (gr. Foto.) kam 1983 wegen Entführung des Bierbrauer­s Freddy Heineken vor Gericht (kl. Foto, r.).
 ??  ?? Mutter Stien, Sonja, Gerard, Papa Willem, Astrid und Willem Holleeder (v.l.) 1966
Mutter Stien, Sonja, Gerard, Papa Willem, Astrid und Willem Holleeder (v.l.) 1966
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 ??  ?? Astrid schrieb eine Familien-Chronik.
Astrid schrieb eine Familien-Chronik.

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