Hamburger Morgenpost

Das Tal, in das sich Hemingway verliebte

Vor genau 100 Jahren kam der Schriftste­ller ins italienisc­he Piavetal

- CS

Vor exakt 100 Jahren verschlägt es einen jungen US-Amerikaner ins italienisc­he Piavetal bei Venedig. Mitten hinein in den Krieg. Er wird schwer verwundet und erleidet ein Trauma, das ihn ein Leben lang beschäftig­t. Er verarbeite­t es in Büchern und legt damit den Grundstein für seine Weltkarrie­re als Schriftste­ller. Sein Name: Ernest Hemingway. Überall in Europa findet man seine Spuren, seine große Liebe zu Venedig ist weithin bekannt. Aber nur wenig wissen, wie sehr er ausgerechn­et an jenem Landstrich hing, in dem er um ein Haar sein Leben verloren hätte.

Doch die Region hat nie daran gedacht, das Hemingway-Potenzial zu nutzen. Böse Zungen sagen: Sie haben es verschlafe­n. Aber das dürfte sich nun ändern. Hemingway-Rundtouren gibt es bereits.

Zum Beispiel in Fossalta, einem typischen italienisc­hen Dorf mit 4114 Einwohnern, die in angestaubt­en Häuschen wohnen, Wein anbauen und in der Osteria Rialto das Leben genießen. Genau dieser Ort war vor 100 Jahren Mittelpunk­t grausamer Schlachten des 1. Weltkriegs. Hüben Österreich­er, drüben Italiener, der Fluss Piave als Grenze und Frontlinie.

Hemingway, der selbst gern als Soldat gekämpft hätte, aufgrund eines Augenleide­ns aber ausgemuste­rt war, hatte sich in den USA als Rot-Kreuz-Mitarbeite­r gemeldet und trifft im Frühsommer 1918 im Piavetal ein. In der Nacht vom 7. auf den 8. Juli eröffnen die Österreich­er plötzlich das Granatenfe­uer, Hemingway wird schwer verletzt. Er schleppt sich ins Dorf, wird später in ein Hospital nach Mailand verlegt, wo er sich der Krankensch­wester

Anges von Kurowksy nähert. Die unglücklic­he Liebe ist Grundlage für sein Buch „In einem anderen Land“, das 1929 erscheint. Es gibt noch weitere Werke wie „So wie du niemals sein wirst“und „Über den Fluss und in die Wälder“, in denen Hemingway die (Kriegs-)Zeit im Piavetal aufarbeite­t.

Und das ist das Glück für Bruno Marcuzzo. Schon als Kind wollte der rundliche Italiener alles über die Vergangenh­eit seiner geliebten Heimat wissen. Und so las er nach und nach die Bücher des US-Schriftste­llers. „Ohne Hemingway hätte ich kaum etwas rausgefund­en.“Was dabei alles ans Tageslicht kam, hat Bruno in zwei Rundkurse gepackt. Die kürzere führt durch das Dorf und zeigt die Stationen Hemingways an jenem ver-

hängnisvol­len Juliabend 1918. Bruno hat erstaunlic­h viel Details ausgegrabe­n und auch einige interessan­te Fotos. Etwa jenes, das Hemingway mit Fahrrad und Gewehr zeigt – beides hätte ihm als Rot-Kreuz-Helfer nicht zugestande­n. „Er hat sich Dinge einfach rausgenomm­en und wollte wie ein Soldat sein“, erzählt der Hemingway-Fan.

Bruno hat mit Zeitzeugen gesprochen, die erzählten, dass Hemingway zu Ausflügen und langen Spaziergän­gen in späteren Jahren ins Piavetal zurückkehr­te. So auch 1950 und 1954. Damals hat er jenen berühmten Satz in Briefen an Freunde formuliert, der auf dem Hemingway-Denkmal in Fossalta verewigt ist: „Io sono un ragazzo del basso Piave“(Ich bin ein Junge aus der PiaveEbene). Es ist ein schlichter Stein, auf der noch festgehalt­en ist, dass Hemingway an dieser Stelle verwundet wurde. Dahinter fließt friedlich die Piave, als hätte es an ihren Flanken nie die schrecklic­hen Gemetzel gegeben. Radfahrer sind an den Ufern unterwegs.

Es hat einen ganz eigenen Charme, dem Fluss mit Mountain- oder Trekkingbi­ke zu folgen und so die Region zu erkunden. Zwar ist der Piave-Radweg ein offizielle­s Tourismus-Projekt, aber man darf hier im Süden nicht mit Asphalt rechnen. Die Reifen holpern über Feldwege, die mal mehr, meist aber weniger ausgeschil­dert sind.

Zwischen Fluss und Weg wachsen Mais, Kartoffeln oder Weizen. Weiter im Norden tauchen erste Hügel auf, irgendwann schlängelt sich die Piave durch Weinberge des Prosecco-Landes. Wer ausdauernd ist und mehrere Tage Zeit hat, folgt dem Fluss bis nach Belluno oder hinein in die Dolomiten, wo er seinen Ursprung hat. Vielleicht bis zu Benediktin­er-Abtei von Monastier, in der einst die Rot-Kreuz-Helfer untergebra­cht waren. Hemingway soll hier Verletzte aufgepäppe­lt haben, ehe er beschloss, sich der Front zu nähern.

Heute firmiert die Anlage als Freilicht-Museum, beliebt ist sie vor allem bei Hochzeitsg­esellschaf­ten, die dort rauschende Feste feiern können. Zum Gedenken an Hemingways Verwundung vor 100 Jahren soll es auch Lesungen geben. Es ist eine weitere Annäherung der Region an Hemingway und ein erster Schritt zu einem größeren Konzept. Mit Brunos Hilfe könnte von Fossalta ausgehend ein zaghafter HemingwayT­ourismus etabliert werden.

Der 51-Jährige hat das schon öfter angestoßen. Diesmal könnte er Erfolg haben. Schließlic­h haben die Politiker verstanden, dass man die Touristens­tröme in Venedig kanalisier­en muss. Die Lagunensta­dt gilt schon jetzt als überlaufen. Um sie zu entlasten, gibt es täglich organisier­te Bustouren von Venedig in die Dolomiten. Vor allem US-Gäste könnte man zudem zu einem Ausflug ins Piavetal bewegen. So wie es Hemingway gemacht hat, wenn ihm der Trubel in Venedig zu viel wurde. „Io sono un ragazzo del basso Piave.“

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Bruno Marcuzzo mit einem Foto von Ernest Hemingway
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Ruhig und friedlich fliesst der Piave, ein 220 Kilometer langer Fluss, durch Oberitalie­n. Schon Hemingway war vom Piavetal fasziniert.
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Das Piavetal bietet immer wieder reizvolle Ausblicke, ist aber wenig bekannt.

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