Hamburger Morgenpost

Die Krise der Wochenmärk­te

Angebot wird immer knapper.

- SIMONE PAULS s.pauls@mopo.de

Seit drei Generation­en verkauft seine Familie auf Hamburgs Wochenmärk­ten das Gemüse, das sie auf ihrem Hof in Bergedorf anbaut. Salat, Tomaten, Kräuter, Zucchini, Kürbis. Wilfried Thal (60) wird vermutlich der Letzte in der Familie sein, der sein Geld auf diese Weise verdient. Ähnlich sieht es auch bei anderen Gemüsebaue­rn aus. Die Folge: Hamburgs Wochenmärk­te verändern ihr Gesicht.

An diesem Donnerstag­vormittag ist nicht viel los auf dem Markt am Turmweg (Rotherbaum). Vor allem ältere Besucher sind hier unterwegs. Wilfried Thal steht in grüner Schürze vor seinem Gemüsestan­d. Er ist Präsident des „Verbandes des ambulanten Gewerbes und der Schaustell­er“und so etwas wie Hamburgs oberster Markthändl­er. Sein Problem: Die Obst- und Gemüsepara­diese in den Stadtteile­n werden kleiner und es kommen weniger Kunden.

Und das hat vor allem zwei Gründe. „Es wird immer weniger gekocht“, sagt Wilfried Thal. Kinder essen heute in Kita oder Schule, Erwachsene bei der Arbeit. Gekocht wird oft nur noch am Wochenende. Zudem haben sich die Kunden an die Öffnungsze­iten in den Supermärkt­en gewöhnt, da kann ein Wochenmark­t nicht mithalten.

Zweites großes Problem: Immer mehr Erzeuger geben auf und finden keinen Nachfolger. Ähnlich wird es vermutlich auch in der Familie Thal eines Tages sein. „Es lohnt sich nicht mehr. Meine Kinder finden, dass sie ihr Geld auf einfachere Art verdienen können“, sagt er.

Als er in den 80er und 90er Jahren in den Betrieb einstieg, war die Arbeit hart, aber lukrativ. „Deshalb hat man über alle Mühen hinweggese­hen. Jetzt ist die Arbeit nur noch hart“, sagt er. Er kann zehn Minuten lang runterratt­ern, welche Unmengen an Vorschrift­en er und seine Kollegen erfüllen müssen. Dokumentat­ion des Anbaus, der verwendete­n Spritzmitt­el, die Reinigung der Toiletten in seinem Betrieb und vieles, vieles mehr. „Das kann niemand mehr leisten und will sich keiner mehr antun“, sagt er.

Schlachter und vor allem Gemüsebaue­rn sind in den vergangene­n Jahren verschwund­en. „Als ich anfing,

gab es am Turmweg sieben oder acht Gemüsestän­de. Jetzt gibt es nur noch halb so viele. Und die meisten verbleiben­den haben Südfrüchte hinzugenom­men, um über die Runden zu kommen“, sagt Wilfried Thal. Ähnliches lässt sich auf anderen Märkten beobachten, sagt er.

Wegen zunehmende­r Leerstände wurden einige Handelsplä­tze bereits geschlosse­n oder verkleiner­t. Der Markt in Mümmelmann­sberg ist verschwund­en. „Und der an der Gustav-Falke-Straße hat mittlerwei­le nur noch ein Zehntel seiner ursprüngli­chen Fläche“, sagt er. Auch auf dem beliebten Isemarkt gibt es Einbußen. „Das ist ein Touristen-Markt geworden. Touristen kaufen keinen Kohl oder ein Pfund Karbonade“, sagt er.

Wie geht es also weiter auf den Wochenmärk­ten? Einige der Lücken wurden durch Händler mit neuen Ideen geschlosse­n. Am Turmweg gibt es Stände mit Käse aus Büffelmilc­h, hausgemach­ten italienisc­hen Würsten, DinkelCrêp­es, vegetarisc­hen Spezialitä­ten, handgemach­ter Pasta und vieles mehr. „Ich bin überzeugt, dass der Wochenmark­t eine Zukunft hat. Er wird sein Gesicht verändern, hin zu mehr Vielfalt“, sagt der Verbandsch­ef.

Trotz aller Widrigkeit­en liebt er, was er tut: „Selber Gemüse anzubauen und zu vermarkten, das ist doch toll. Ich habe den schönsten Beruf der Welt.“

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Bei Karolina Ellerbrock (31) von „Anna’s Hof “gibt es Käsespezia­litäten aus Büf elmilch.
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Wilfried Thal (60) ist Hamburgs oberster Markthändl­er. Die Wochenmärk­te haben mit diversen Schwierigk­eiten zu kämpfen. Es gibt in Hamburg etwa 85.
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Die Brüder Gianluca (54, l.) und Massimilia­no Picchianti verkaufen auf dem Markt am Turmweg hausgemach­te italienisc­he Würste.
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Der Crêpes-Stand von Karsten Klaus (42) sieht aus wie eine Kutsche.

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