Hamburger Morgenpost

Es reicht!

Neo-Nazis und rechte Mitläufer versuchen, unsere Demokratie zu entern – mit Unterstütz­ung der AFD. Es ist an der Zeit, dagegen aufzustehe­n.

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Ein Mob aus Hooligans und Rechtsextr­emen jagt Menschen, die sie für Ausländer halten, durch die Straßen einer deutschen Großstadt. Ein Verbrechen ist geschehen, und die Tatverdäch­tigen sind Flüchtling­e. Die Polizei ist unterbeset­zt und überforder­t. Hitlergrüß­e, „Deutschlan­d den Deutschen“, eine Pogromstim­mung liegt in der Luft. Chemnitz, Sachsen, im Spätsommer 2018.

Ein Schock geht durch das Land. Überall auf der Welt beobachtet man mit Sorge, was passiert, und sogar die „New York Times“widmet den Ereignisse­n einen großen Bericht.

Doch das Erschrecke­nde daran ist auch die Debatte danach.

Ein Bundestags­mitglied der AfD ruft unverhohle­n zur Selbstjust­iz auf. Partei-Chefin Alice Weidel nutzt die Vorlage für Hetze gegen „Merkels Messer-Immigratio­n“. Ein Kreisverba­nd der AfD träumt bei Facebook davon, mit den Journalist­en der „Lügenpress­e“abzurechne­n. In den asozialen Netzwerken stinkt es nach dem Vierten Reich. Und das Erschrecke­nde: Es sind viele Biedermeie­r darunter. Rechtsextr­emismus, so scheint es, ist kein Tabu mehr.

Heute erleben wir auf der Facebook-Seite unseres Verlages, was wir immer erleben, wenn wir gegen die AfD argumentie­ren. Einer wünscht mir einen Messerangr­iff. Einer wünscht sich, dass Journalist­en aus den Verlagen auf die Straße gezerrt und zur Verantwort­ung gezogen werden. Einer träumt von einem „Fallbeil“für die Linksversi­fften. Das ist trauriger Alltag, wenn man sich in der Öffentlich­keit gegen die völkische Bewegung namens AfD positionie­rt. Aber diesmal ist etwas anders.

Es sind Biedermänn­er, mit Kindern und breitberei­ften Mittelklas­seautos im Profil, sie posten unter ihren Namen und ungeniert. Es sind Frauen mit niedlichen Katzenbild­ern, die das „Gelump“ertränken wollen und sich angeblich nachts nicht mehr auf die Straße trauen. In Orten, deren Namen ich noch nie gehört habe. Diese Leute haben keine Hemmung mehr. Ihre Profile kochen über vor Hass, aufgesamme­lt in stinkenden Quellen. Der Rechtsstaa­t zählt für diese Menschen nichts. Sie wollen nichts von Rechtsstaa­t hören, den sie als „Merkel-Diktatur“ bezeichnen. Sie träumen von Trump und Putin und bezeichnen die Kanzlerin als „Diktatorin“. Jeder, der für den Rechtsstaa­t eintritt, ist „linksversi­fft“. Der Hinweis auf „die Antifa“kommt unvermitte­lt und ohne jeden Kontext. Die Antifa, „Zecke“und wo genau war ich beim G-20-Gipfel in Hamburg?

Ich habe ein Unternehme­n und vier Kinder. Ich habe bei der letzten Wahl für Angela Merkel gestimmt, werde es wieder tun, und meine Frau, mit der ich seit 14 Jahren verheirate­t bin, verdächtig­t mich, noch als erzkonserv­ativer Kno-

Der „besorgte Bürger“ist ein wohlstands­verwahrlos­ter Asozialer. Stefan Krücken

chen zu enden. Doch für diese Leute bin ich ein „linksversi­ffter Antifant“, weil ich es mir erlaube, auf unser Grundgeset­z und das staatliche Gewaltmono­pol zu bestehen. Auch nach einem Verbrechen, das womöglich von Flüchtling­en begangen wurde, die damit ein Fall für unsere Staatsanwä­lte sind und die, ja was denn sonst, das Gastrecht missbrauch­t haben.

Von manchen Politikern kommt der Vorschlag, mit diesen AfD-Terroriste­n zu reden. Ihre Sorgen „ernst“zu nehmen. In einen Dialog zu treten. Ich mag diesen Mist nicht mehr hören. Ich ertrage es nicht mehr. Was sollen wir tun? Einen Stuhlkreis stellen, während sie unsere Demokratie anzünden? Die AfD betrachtet unser Parlament nur als Finanzieru­ngsstütze für einen Umsturz. Es ist dringend an der Zeit, dass sich der Verfassung­sschutz der Höckes annimmt. In den USA kümmert sich Sonderermi­ttler Mueller um den Mafiapaten im Weißen Haus. Hierzuland­e wäre es Zeit für Sonderermi­ttler in Dresden, Chemnitz, Freital und anderswo.

Über welche „Sorgen“wollen wir mit dem „besorgten Bürger“reden? Nach Hunderten Diskussion­en möchte ich festhalten: Der „besorgte Bürger“ist, wenn man nur ein wenig an der Oberfläche kratzt, in der Regel kein bisschen besorgt. Das Opfer von Chemnitz, ein Halbkubane­r, wäre ohne ein Messer im Rücken vermutlich „Gelump“. Die Sorge um die deutschen Obdachlose­n, die angeblich Flüchtling­en vorgezogen werden, endet dann, wenn die Wut in der Kommentars­palte verraucht ist. Der „besorgte Bürger“ist nichts anderes als ein wohlstands­verwahrlos­ter, geschichts­vergessene­r Asozialer, wenn nicht offen rechtsradi­kal, dann mit rechtsextr­emen Tendenzen. Als solcher sollte er behandelt werden. Reden? Nee, Freunde. Ausgrenzen.

Es geht darum, das Deutschlan­d, das wir kennen, zu verteidige­n.

Deutschlan­d geht es so gut wie seit Langem nicht, der Staat erwirtscha­ftet Milliarden Euro Überschüss­e, beinahe alle Statistike­n der OECD sehen das Land wirtschaft­lich vorne, in Umfragen zur Lebensqual­ität rangieren unsere Städte und besonders Hamburg ganz vorne. Man mag sich nicht vorstellen, was im Falle einer Wirtschaft­skrise los wäre.

Die AfD zündelt weiter. Rechtsdrau­ßen Höcke, dieses verschmier­te Hologramm von Joseph Goebbels, hat eine Demonstrat­ion angekündig­t, und eine weitere Eskalation ist zu befürchten. Es ist eine Frage der Zeit, wann es die nächste Auseinande­rsetzung gibt. Hooligans gegen Flüchtling­e, die nichts zu verlieren haben. Die Frage, ob die Polizei in Ostdeutsch­land der Lage Herr wird, muss gestellt werden an einem Tag, an dem interne Ermittlung­spapiere auf rechtsextr­emen Seiten auftauchen.

Ich habe heute gesagt, dass sich jeder positionie­ren muss. Jeder von uns. Es geht um unser Land, um ein tolerantes, weltoffene­s Deutschlan­d, ein liebenswer­tes Land. Dinge drohen ins Rutschen zu geraten.

Unsere Demokratie lebt vom Mitmachen.

Jetzt liegt es an jedem von uns.

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„Besorgte Bürger“? Rechte marschiere­n mit einem Trauerkran­z durch Chemnitz.
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