Chemnitz zwischen Wut-Demo und Dialog
Regierungschef Kretschmer stellte sich Bürgern
CHEMNITZ – Nach eintägiger Atempause stand Chemnitz gestern Abend im Zeichen von Demo und Dialog. Der Protestzug der rechtspopulistischen Bewegung „Pro Chemnitz“fand zeitgleich mit dem Bürgergespräch mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und der Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) statt. Zugleich prägte ein massives Polizeiaufgebot das Stadtbild.
Der Tötung des Tischlers Daniel H. (35) werde zu wenig Beachtung geschenkt. Es gehe nur noch um „links gegen rechts“, nicht mehr „um uns, um die normalen Bürger“, sagt ein Mittvierziger-Paar, das in der Schlange zum „Sachsengespräch“mit Regierungschef Kretschmer steht. Sie sind gekommen, um die Chance zu nutzen, ihre Politiker zu Rede zu stellen. Dieses Gefühl teilen heute Abend fast alle im Stadion.
Das „Sachsengespräch“war schon anberaumt, bevor es in Chemnitz kochte. Dann aber wurde auf dem Stadtfest Daniel H. erstochen. Tatverdächtig sind zwei geduldete Asylbewerber, einer aus dem Irak, einer aus Syrien – einer von ihnen mehrfach vorbestraft. In Chemnitz vermengen und entladen sich seither angestaute Unzufriedenheit mit der aktuellen Asylpolitik und lange gehegter Rassismus. Rechtsextreme Hooligans und Organisationen bliesen zum Marsch, unzufriedene Bürger schlossen sich an. Am Sonntag und Montag überrollten die Demonstranten die Stadt und die Polizei.
Auch gestern wieder eine Demo der Unzufriedenen – die rechte Bewegung „Pro Chemnitz“hatte dazu aufgerufen, direkt vors Stadion. Die Protestkundgebung verläuft ohne größere Zwischenfälle. Während die Behörden von rund 900 Teilnehmern sprachen, schätzen Augenzeugen die Zahl auf über 1000. Die Stimmung unter den Demonstranten ist aufgeheizt, aber nicht bedrohlich wie am vergangenen Montag.
Im Stadion wird derweil weiter heiß diskutiert. Der Regierungschef beginnt mit einer Schweigeminute für Daniel H. „Nachdem hier ein Mann so furchtbar ums Leben gekommen ist, können wir nicht einfach übergehen zur Tagesordnung“, sagt er. In den folgenden 60 Sekunden schweigt der ganze Raum. Durch die geöffneten Fenster ist das Grölen der „Pro Chemnitz“-Demonstranten auf der anderen Straßenseite zu hören.
Viele kommen zu Wort. Der Regierungschef hört zu, nickt, verspricht am Ende, Möglichkeiten zu suchen, um schneller und effektiver gegen Flüchtlinge vorgehen zu können, die kriminell werden und den Behörden die Möglichkeit zu geben, Fakten direkter zu kommunizieren. Wie das genau aussehen und gehen soll? Das sagt Kretschmer nicht.