Die Medizin-Wunderwaffe droht stumpf zu werden
Alexander Flemings Erfindung killt gefährliche Bakterien. Doch immer mehr werden resistent
GENF - Krebstherapien, Kniegelenkersatz, eine neue Niere – was für Millionen Patienten weltweit selbstverständlich scheint, wäre ohne die Entdeckung von Antibiotika vor 90 Jahren weitaus riskanter. Damit werden lebensgefährliche Bakterien, die sich bei Eingriffen verbreiten können, in Schach gehalten. „Zweifellos eine der wichtigsten Entdeckungen der Medizingeschichte“, sagt Marc Sprenger von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf. Seit einigen Jahren aber schlagen Gesundheitsexperten Alarm, weil die Waffe gegen tödliche Infektionen stumpf zu werden droht.
Die Zahl der Resistenzen gegen Antibiotika wächst rasant, viele Bakterien lassen sich nicht mehr kleinkriegen – und schuld daran ist zum großen Teil der Mensch selbst.
Was passiert, wenn die Länder das Problem nicht bald in den Griff bekommen? „Im schlimmsten Fall sterben Menschen wieder an einfachen Infektionen etwa der Blase oder an Lungenentzündung oder Sepsis, weil die Medikamente nicht wirken“, sagt Sprenger. Rund 700000 Menschen sterben nach Schätzungen jedes Jahr weltweit an Infektionen, gegen die keine Antibiotika mehr helfen. Die Zahl können auf zehn Millionen Menschen im Jahr steigen, wenn Forscher das wachsende Problem der Resistenzen von Bakterien gegen Antibiotika nicht in den Griff bekämen, heißt es in einer Studie des Mahidol Oxford Research Centres in Bangkok und des Infectious Diseases Data Observatorys in Oxford.
Rückblende: 1928, als einfache Wundinfektionen oder Diphtherie, Lungenentzündung und Tuberkulose für Patienten oft ein Todesurteil waren, merkt ein schottischer Bakterienforscher nach der Rückkehr aus dem Urlaub, dass sich auf einer Bakterienkultur in seinem Labor ein Schimmelpilz gebildet und die Bakterien vernichtet hat. Der Pilz heißt Penicillium. Alexander Fleming (18811955) ist sich seiner bahnbrechenden Entdeckung sofort bewusst. Es dauert aber noch 14 Jahre, bis das erste Penicillin auf den Markt kommt. Fleming erhält 1945 den Medizinnobelpreis.
Nach dem Penicillin werden weitere gegen Bakterien wirkende Verbindungen gefunden. Doch Bakterien entwickeln Überlebensstrategien, sie werden resistent. Aber auch Ärzte, Patienten und Bauern tragen zu dem Problem bei. Bauern, weil sie Antibiotika lange flächendeckend in der Massentierhaltung eingesetzt haben und teils noch einsetzen. Die gelangen über das Fleisch in die Nahrungskette des Menschen und erlauben es Bakterien, sich daran zu gewöhnen.
Bei Ärzten und Patienten liegt die Sache anders. „Es ist ein kulturelles Phänomen“, sagt WHO-Experte Sprenger. „Auch wenn viele Infektionen eigentlich nach ein paar Tagen von selbst weggehen, verlangen Patienten oft nach Antibiotika und Ärzte sind zu schnell dabei, ihre Wünsche zu erfüllen.“
In Süd- und Mitteleuropa – etwa Spanien, Italien, Griechenland, Ungarn, Rumänien, Polen – sind teils schon weit über 50 Prozent bestimmter Bakteriengruppen gegen einzelne Antibiotika resistent. In Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien sind es meist deutlich unter zehn Prozent.
Nötig wären neuartige Wirkstoffe mit neuen Wirkmechanismen, sagt Sprenger. „Es sind neue Medikamente in der Forschungspipeline, aber wahrscheinlich haben wir in fünf bis sieben Jahren nur noch ein oder zwei potenzielle neue Präparate.“