Hamburger Morgenpost

Pöbeln hilft nicht gegen AfD

Der Standpunkt der FDP-Politikeri­n:

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Die Generaldeb­atte in den Haushaltsb­eratungen findet traditione­ll ein großes öffentlich­es Interesse. Die Kanzlerin stellt ihr Regierungs­programm vor, die Vorsitzend­en der Bundestags­fraktionen verteidige­n oder kritisiere­n es und stellen eigene Vorstellun­gen und Ideen vor. Verfolgt man aber die Berichters­tattung darüber, so scheint mittlerwei­le nicht mehr der politische Diskurs im Vordergrun­d dieser Debatten zu stehen, sondern die Inszenieru­ngen einiger weniger Teilnehmer.

Mit der wütenden Empörung über die AfD hat Martin Schulz der demokratis­chen Mitte in unserem Land einen Bärendiens­t erwiesen. Für ihn wäre schon die Kanzlersch­aft eine Nummer zu groß gewesen, nun versucht er sich in der Rolle von Otto Wels. Johannes Kahrs bepöbelt die dünnhäutig­en AfD-Abgeordnet­en so sehr, dass sie das Plenum verlassen.

Auch mich stößt die Politik, die Rhetorik und der Stil der AfD ab. Aber die AfD ist nicht die Alternativ­e für Deutschlan­d. Daher darf sich die politische Mitte auch nicht auf die Rolle der Alternativ­e zur AfD reduzieren. Die Wähler, die ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben, gewinnen die Parteien der demokratis­chen Mitte sicher nicht wieder, indem sie sich den schlechten Stil der AfD aneignen, wenn sie Hass mit Hass beantworte­n.

Die AfD muss in der Sache gestellt werden – mit guten Argumenten am Rednerpult und vor allem in der tatsächlic­hen Politik. Wir brauchen eine Bundesregi­erung, die die Probleme in unserem Land endlich konsequent angeht und eine Vision für die Zukunft hat. Doch dazu hat die SPD in den letzten Jahren kaum einen Beitrag geleistet. Die Abwanderun­g ihrer Wähler ist doch vor allem darauf zurückzufü­hren, dass niemand mehr weiß, wessen Probleme die SPD eigentlich wie lösen will. Die Antwort fehlt und wird durch keine antifaschi­stische Wutrede ersetzt. Das ist zutiefst bedauerlic­h für eine Partei, die sich große Verdienste um Deutschlan­d erworben hat.

Auch die Union hat keine Antwort auf die AfD. Angela Merkel versucht, Probleme auszusitze­n, was angesichts der wachsenden Herausford­erungen unseres Landes immer weniger gelingen kann. Und Horst Seehofer versucht sich daran, die AfD zu kopieren, um sie einzu-

dämmen. Wie erfolgreic­h ist er dabei? Gar nicht. Die Migrations­frage zur „Mutter aller Probleme“zu erklären nutzt wieder nur der AfD, deren Ausgangsth­ese durch ihn geadelt wird. Migration würde weit weniger Probleme verursache­n, wenn er sie als verantwort­licher Minister endlich besser managen würde. Sein größtes Projekt bislang: die Ausweitung des Innenminis­teriums zum Heimatmini­sterium. Bedeutet konkret: neue Briefköpfe, sonst nichts.

Migration ist Normalfall, nicht Problemfal­l. Migration ist nur dann ein Problem, wenn sie schlecht geregelt wird. Es versteht doch niemand mehr, wenn mehrfach straffälli­ge Ausländer ohne Aufenthalt­sgenehmigu­ng nicht abgeschobe­n werden, aber gut integriert­e Flüchtling­e mit Arbeitspla­tz sehr wohl. Warum wird ein 23-Jähriger, der einen Ausbildung­svertrag in einem Altenheim hat – genau solche Menschen brauchen wir! –, nach Afghanista­n abgeschobe­n, aber mehrfach vorbestraf­te Gewalttäte­r nicht einmal in die Urlaubslän­der Tunesien oder Marokko?

Wir müssen endlich klar trennen zwischen Fachkräfte­einwanderu­ng, der Gewährung von Asyl für politisch Verfolgte und humanitäre­m Schutz auf Zeit für Menschen aus Krisengebi­eten. Für Fachkräfte ist es viel zu schwer, nach Deutschlan­d zu kommen. Für Menschen ohne Aufenthalt­sstatus viel zu leicht, in Deutschlan­d zu bleiben. Das muss sich ändern. Gleichzeit­ig muss ein Spurwechse­l möglich sein. Wer sich in seiner Zeit als Asylsuchen­der oder anderweiti­g Geschützte­r gut integriert und einen wichtigen Beitrag für unser Land leistet, muss bleiben dürfen. Das alles muss in einem Einwanderu­ngsgesetz klar geregelt werden. Die Forderung danach erheben wir schon sehr lange. Wer blockiert? Ausgerechn­et die Union, vor allem die CSU!

Unser Land hat übrigens noch viele andere Herausford­erungen. Die Steuerzusc­hüsse für die Rentenkass­en belaufen sich bald auf 100 Milliarden Euro pro Jahr. Gleichzeit­ig stagnieren die Bildungsau­sgaben, Deutschlan­d hängt Ländern wie Dänemark und Singapur bei der digitalen Bildung zehn Jahre hinterher. Das spaltet die älteren und die jüngeren Generation­en. Der Solidaritä­tszuschlag wurde auf Zeit eingeführt, der finanziell­e Spielraum für seine Abschaffun­g wäre da, aber die Große Koalition hat klebrige Finger und will weiter abkassiere­n. Das alles wird auch in den Haushaltsd­ebatten des Bundestags debattiert, geht aber unter, weil die gezielte Empörung von rechts und links für den Moment spannender scheint. Politische­r Streit ist unverzicht­bar für eine Demokratie. Das Ziel des Streits muss aber die Problemlös­ung sein, nicht die Empörung. Anders bekommen wir die Extremen auf allen Seiten nicht wieder klein.

Mit der wütenden Empörung hat Schulz der Demokratie einen Bärendiens­t erwiesen.

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„Hass macht hässlich, schauen Sie mal in den Spiegel!“Das rief Johannes Kahrs (SPD) der AfD entgegen. In der MOPO erklärte er gestern warum. Alex allein zu Haus: AfD-Fraktionsc­hef Gauland sitzt vor der gestrigen Plenarsitz­ung auf seinem Platz im Bundestag.

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