Hamburger Morgenpost

Und Kapuze

Eine Zwei-Tage-Wanderung durch das Gurgler Tal im Regen

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Von BIRGIT WALTER

Der Tag beginnt sorglos. Eigentlich wollen wir heute zum Ramolhaus wandern, 3000 Meter hoch, vier Stunden von Obergurgl im Ötztal stetig bergauf, Übernachtu­ng oben auf der Hütte. Da sich aber auch Regen ankündigt, steht sicher eine Programmän­derung an, oder? Schließlic­h erlebte die Gruppe am Vortag einen zauberhaft­en Ausflug durch den Zirbenwald. Der alte Naturführe­r kannte jede Pflanze, auch die mit zweifelhaf­ten Eigenschaf­ten – das gemeine Fettkraut, die bärtige Glockenblu­me, das aufgeblase­ne Leimkraut. Aber skeptisch über die Wetterauss­icht nahm er bergauf die Gondel und bestellte zum Schluss ein Taxi. Denn nach der Einkehr auf der Zirbenalm hatte es zu nieseln begonnen: „Ich bin ja für eure Sicherheit verantwort­lich!“

Solche Gewissenha­ftigkeit würde dem Bergführer der Zwei-Tage-Wanderung genauso eigen sein, dachte ich. Doch er erscheint in Regenjacke. Auch die Mehrheit der Gruppe ist bereit zum Aufstieg. Wozu sonst die Anreise aus Wien, Augsburg, München und Berlin, fragt der Kollege vom „Bergsteige­r“? Gut, die Wanderlite­ratur beschreibt die Tour als ausgesproc­hen schillernd, schwelgt in Superlativ­en – der Blick von oben entschädig­e für jede Anstrengun­g. Aber im Regen? Wir wollen nicht kneifen. Der Bergführer empfiehlt einen Schirm. Wir lachen, haha, steile Aufstiege mit Schirm, ja? Er zeigt den eigenen vor: der hält viel ab.

Es wird ernst. Wir ziehen los mit Schirm, Stock und Kapuze. Es beginnt stärker zu regnen und wird heute keine Sekunde mehr aufhören. Oben kommt Nebel dazu. Mir tropft Wasser aus Augen, Nase, Haaren. Die Brille beschlägt. Wir bilden zwei Gruppen. Die letzte braucht über fünf Stunden. Nie verging Zeit so langsam. Wir überqueren ungezählte randvolle Bäche, nur wenige überbrückt, die meisten wollen übersprung­en sein – von Stein zu Stein, mit Schirm und Stock, ohne Sinn für Romantik.

Bergführer Vitus sagt gelegentli­ch: Noch ein, zwei Kehren, dann sieht man bald die Hütte, herrlich, wie auf einem Adlerhorst. Riecht man nicht schon den Grill? In Wahrheit dauert es noch ewig. Die letzten 200 der 1100 Höhenmeter sind so steil und felsig, dass wir sie teils auf allen Vieren erklim- men. Gern hätten wir uns verweigert. Geht nicht. Die Hütte sehen wir erst, als wir die Hand nach ihr ausstrecke­n können im Nebel.

Das Ramolhaus war 1881 die erste Schutzhütt­e im Ötztal. Sie hat einen Trockenrau­m für die tropfenden Sachen, Wassertoil­etten, Waschbecke­n, keine Duschen, aber reichlich Rotwein. Nach dem Essen zeigt uns Vitus auf der Karte, wie dramatisch in dieser Gegend die Gletscher schwanden, wo sich unser heutiger Weg durchs Gurgler Tal schlängelt. Was – die ganze Strapaze läuft unter dem Begriff „Talwanderu­ng“? Ja. Denn von hier gehen erst die schweren Touren zum Ramolkogl oder Schalfkogl los. Dahin wollen die anderen Hausgäste morgen.

Wie gut, dass wir nicht mit müssen. Wir malen uns ausführlic­h den Sonnenaufg­ang aus und die famosen GipfelBlic­ke.

Der Abstieg gerät steiler, als es meine Vorstellun­g hergab. Führt über felsiges Gelände, glitschige Schneefeld­er und Gletscherp­latten, die extremen Stücke mit Stahlseile­n, Leitern und Trittbügel­n gesichert. Endlich die Hängebrück­e, die sich 142 Meter über das Tal spannt. Sieht aus, als führe

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