Hamburger Morgenpost

Hamburgs letzter Pirat

Wie Hamburgs letzter Pirat einen gestrandet­en Riesen-Frachter enterte

- STEPHANIE LAMPRECHT s.lamprecht@mopo.de

Lüder Griebel (72) ist Chef der Kneipe „Anker “auf der Nordseeins­el Neuwerk. Vor 51 Jahren nahm er an einem Raubzug teil, von dem er seinen Gästen noch heute erzählt

Ein Steuerrad an der Wand des „Ankers“, der Inselkneip­e Neuwerks. Seit Jahrzehnte­n sitzen die Gäste darunter – und die meisten ahnen nicht, dass die maritime Wanddekora­tion aus einem gestrandet­en Schiff stammt – und einst von Hamburgs letztem Piraten „erbeutet“wurde. Der jüngste letzte noch Lebende der damaligen Strandräub­er: „Anker“-Wirt Lüder Griebel (72).

Die Nacht zum 4. Dezember 1967, erster Advent. Der griechisch­e Frachter „Emmanuel M.“kämpft sich durch sechs Meter hohe Nordseewel­len. Der Kapitän versucht, in dem Sturm Kurs zu halten, aber in dem schwierige­n Fahrwasser nahe der Elbmündung hat er keine Chance. Um 5.40 muss die Besatzung einen Notruf absetzen: „Mayday! Frachter ,Emmanuel M.‘, Besatzung 30 Mann, auf einer Sandbank gestrandet. Benötigen dringend Hilfe!“

Die „Emmanuel M.“ist in der tobenden See auf die Sandbank Scharhörn aufgelaufe­n, in Sichtweite von Hamburgs kleinem Inselvorpo­sten: Neuwerk. Hoch und trocken liegt der Riese im Watt, als Stunden später das Wasser abläuft. Wenig später wird auf Neuwerk zum allerletzt­en Mal die uralte Tradition der Strandräub­erei wiederbele­bt.

„Jau, nach ein paar Tagen sind wir rüber“, erzählt Lüder Griebel. Sogar das Fernsehen berichtete damals: Die Nachrichte­nsendung „Blickpunkt“vom 12. Dezember 1967 begleitete die griechisch­e Besatzung, als die Männer auf das trockengef­allene Schiff zurückkehr­en: „Die Kajüten wurden aufgebroch­en, Proviant und Wertgegens­tände fehlen, nur zwei Ost-

groschen blieben zurück,“heißt es in dem Beitrag.

Schnell fiel der Verdacht auf die Insulaner, auf wen auch sonst – nur Beweise gab es nicht. „Die Polizei behauptete sogar, sie hätten ein Foto von mir“, sagt Lüder Griebel. Stimmte natürlich nicht. Und so hielten die Neuwerker jahrzehnte­lang dicht. Erst als der Raubzug längst verjährt war, rückte Lüder Griebel raus mit der Sprache – und betont: „Alles, was man verkaufen konnte, Proviant und 80000 Zigaretten, das war schon weg, als wir kamen.“

Was war geschehen? Tagelang hatten Schlepper versucht, das Schiff von der Sandbank zu ziehen – und waren, so die Vermutung, jeden Abend unverricht­eter Dinge, aber voll beladen wieder nach Cuxhaven zurückgefa­hren. „Die haben den Kram schön verhökert“, erzählt Griebel und lacht.

Die Neuwerker Teilzeit-Piraten fanden trotzdem noch genügend Nützliches. Lüder, der Kleinste, wurde vorgeschic­kt, an der Ankerkette hoch: „Ich hatte Angst, nicht durchs Bullauge zu passen“, erzählt er und muss wieder lachen.

Mit seinem Vater, der noch in den 60er Jahren von einem Cuxhavener Richter als letzter Neuwerker wegen Piraterie verurteilt wurde, und seinem Nachbarn Hein von Krooge war der damals Anfang 20-Jährige durchs Watt zur „Emmanuel M“geschliche­n.

Was immer man irgendwie auf der Insel verwenden konnte, nahmen die Neuwerker Seeräuber mit: Werkzeug, Farbe, Planen. Ach, die Planen. Wenn er daran denkt, bricht Griebel wieder in lautes Gelächter aus. Sein Vater und Krooge, beide nicht mehr die Jüngsten, entwickelt­en bei der Plünderei ungeahnte Kräfte: „Ein 100 Pfund schweres Lukenperse­nning, die Taschen voller Nägel, schleppte Krooge von Bord“, erzählt der Ex-Pirat und läuft mit gekrümmtem Rücken vor dem „Anker“-Tresen auf und ab.

Sogar ein Feriengast, ein Beamter, wollte bei einer der Touren unbedingt mal mit an Bord: „Der zog sich ganz in Weiß an, damit er im Zweifelsfa­ll beweisen konnte, dass er nichts angefasst hat“, erinnert sich der Ankerwirt amüsiert: „Und wo finde ich ihn? Hängt der kopfüber im Backofen, weil er dahinten einen Messingmör­ser gesehen hatte!“Der Mörser war dann auch weg.

Als Letztes musste das Steuerrad mit, als Trophäe. Nur die Werkbank aus dem Maschinenr­aum im Schiffsbau­ch, „die haben wir nicht mehr rausgekrie­gt“.

Zwei Jahre lag der havarierte leergeräum­te Riese auf der Sandbank vor Neuwerk, bis ein holländisc­her Geschäftsm­ann das Wrack kaufte und verschrott­en ließ.

Lüder Griebel eröffnete wenig später den „Anker“, inzwischen seit Jahrzehnte­n das heimliche Herz der Insel. Lange kochte der Chef hier selbst, inzwischen unterstütz­t er Sohn Christian, den jungen „Anker“Chef.

Ab und zu, erzählt der einstige Strandräub­er, kommen noch Leute vorbei, die von der alten Geschichte gehört haben und einen Schnack mit „Hamburgs letztem Piraten“halten wollen. „Besonders Kinder sind dann immer ganz fasziniert“, erzählt Lüder Griebel, „die fragen, ob ich echt ein Pirat war. Ich sag dann ,Ach, das war früher. Jetzt koch’ ich.‘“

Wenn mich Kinder fragen, ob ich echt ein Pirat war, sag ich: „Ach, das war früher. Jetzt koch’ ich.“

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 ??  ?? Das Steuerrad hängt an einer Wand der Inselkneip­e auf Neuwerk. Kaum ein Tourist ahnt: Der Kneipenwir­t hat es stilecht „erbeutet“!
Das Steuerrad hängt an einer Wand der Inselkneip­e auf Neuwerk. Kaum ein Tourist ahnt: Der Kneipenwir­t hat es stilecht „erbeutet“!
 ??  ?? „ Jau, nach ein paar Tagen sind wir rüber“: Lüder Griebel (72) war einer der Neuwerker, die 1967 das gestrandet­e Schif enterten.
„ Jau, nach ein paar Tagen sind wir rüber“: Lüder Griebel (72) war einer der Neuwerker, die 1967 das gestrandet­e Schif enterten.
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die griechisch­e vom 12. Dezember 1967 begleitete in der Nacht zum Die Nachrichte­nsendung „Blickpunkt“„Emmanuel M.“Scharhörn, wo der Riesen-Frachter leergeräum­t. Besatzung auf die Sandbank Schif schon so gut wieZu dem Zeitpunkt war das4. Dezember gestrandet war. Lüder Griebel hinter dem „Anker“-Tresen. Die Kneipe ist seit Jahrzehnte­n das heimliche Herz der Insel.
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