Hamburger Morgenpost

Die Macht der Konzerne gefährdet die Demokratie!

Politiker und Großuntern­ehmen bilden eine Zweckgemei­nschaft. So haben Bürger immer weniger Einfluss – und Populisten sehen sich bestätigt

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Ist die Macht der Konzerne eine Gefahr für die Demokratie? Hat die Politik die Kontrolle verloren? VW, Audi und Co. scheinen diese These zu bestätigen. Bis heute werden in Deutschlan­d Fahrzeuge mit verbotenen Abschaltei­nrichtunge­n verkauft. Bis auf ein Mini-Bußgeld von einer Milliarde Euro für VW ist in Deutschlan­d noch kein Verantwort­licher angeklagt oder verurteilt worden. Dabei hätte gegen VW auch nach deutschem Recht ohne weiteres ein Bußgeld von zwölf Milliarden erhoben werden können. Frankreich will die Machenscha­ften der Autokonzer­ne immerhin mit 17 Milliarden ächten. Und was macht die Politik in Deutschlan­d?

Es sei Aufgabe der Autokonzer­ne, verloren gegangenes Vertrauen wiederzuge­winnen, sagt Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Als ob es nicht vielmehr notwendig wäre, dass die Politiker verloren gegangenes Vertrauen gegenüber den Bürgern wiedergewi­nnen – zum Beispiel, indem sie die geprellten Autokäufer effektiv entschädig­en!

Der Dieselskan­dal ist ein Tiefpunkt der Demokratie – aber nur die extremste Form des Machtmissb­rauchs, denn er basiert auf Rechtsbruc­h. Bedrohlich ist auch, dass die ganz legalen Geschäftsm­odelle der Konzerne die Gesellscha­ft in hohem Maße schädigen. Banken dürfen ganz legal die Kredite, die sie vergeben, mit über 90 Prozent Schulden finanziere­n. Sinkt der Wert dieser Kredite nur um wenige Prozent, wären die Banken überschuld­et und könnten wieder eine weltweite Wirtschaft­skrise auslösen. Ganz legal ist es, dass der tatsächlic­he Spritverbr­auch von Kraftfahrz­eugen bis zu

50 Prozent über den Angaben der Hersteller liegt und diese damit übermäßig viele Klimagase ausstoßen. Nahrungsmi­ttelkonzer­ne überschwem­men Entwicklun­gs- und Schwellenl­änder mit hochkalori­schen Lebensmitt­eln und lösen eine weltweite Fettleibig­keits- und Diabeteswe­lle aus. Und schließlic­h die Digitalkon­zerne: Sie zahlen kaum Steuern, sie haben die soziale Kommunikat­ion der Gesellscha­ft gekapert, und ihre Angestellt­en arbeiten mit prekären Arbeitsver­trägen. Auf ihren Plattforme­n wimmelt es nur so von Falschmeld­ungen und Hassbotsch­aften, deren Weiterverb­reitung maßgeblich von Algorithme­n bestimmt wird. Die Digitalkon­zerne unterwande­rn damit ein wesentlich­es Element der Demokratie: die Wächterfun­ktion unabhängig­er Medien.

Das Perfide dabei: Um ihr Geschäftsm­odell zu verteidige­n und ihre Macht auszubauen, täuschen die Konzerne die Öffentlich­keit. Die Energiekon­zerne haben jahrelang Zweifel an den Gefahren der Klimaerwär­mung genährt, indem sie Wissenscha­ftler gekauft und Studien manipulier­t haben. Die Banken verbreiten das Märchen, strengere Verschuldu­ngsregeln würden die Kreditverg­abe beeinträch­tigen. Nahrungsmi­ttelkonzer­ne verleugnen die Gefahren des Zuckerkons­ums und die Digitalkon­zerne manipulier­en die öffentlich­e Meinung. Da ist es schändlich, zu behaupten, die Verbrauche­r und Bürger seien an diesen Missstände­n selbst schuld.

Was ist passiert? Seit den 80er Jahren, dem Zusammenbr­uch des Kommunismu­s, hat sich die Marktkonze­ntration beschleuni­gt. Immer weniger Konzerne haben immer mehr Macht. Nur noch drei Konzerne beherrsche­n heute 60 Prozent des weltweiten Marktes für Saatgut und Agrarchemi­kalien, Google beherrscht 90 Prozent des Marktes für Suchmaschi­nen, in Deutschlan­d beherrsche­n nur vier Einzelhand­elskonzern­e über 80 Prozent des Lebensmitt­elmarktes. Zugleich sind die Gewinne globaler Konzerne in den letzten 30 Jahren geradezu explodiert. Konzerne können sich heute alles und jeden kaufen, jeden unliebsame­n Wettbewerb­er, die teuersten Anwaltskan­zleien, Wissenscha­ft und Forschung – und natürlich auch Politiker. Mehr als 50 Prozent der Kongressab­geordneten in den USA beraten heute, nach Ende ihres Mandates, Konzerne. In den 80er Jahren waren es fünf Prozent. Bei den EUKommissa­ren gibt es einen vergleichb­aren Trend.

Und auch in Deutschlan­d gedeiht der „Seitenwech­sel“. Aktuelles Beispiel: Der ehemalige Wirtschaft­s-und Außenminis­ter Sigmar Gabriel hat bei Siemens Alstom angeheuert, während Finanzmini­ster Olaf Scholz den CoChef von Goldman Sachs in Deutschlan­d, Jörg Kukies, als Staatssekr­etär eingestell­t hat. Matthias Wissmann war einst Bundesverk­ehrsminist­er, bevor er Präsident des Verbandes der deutschen Automobili­ndustrie wurde. Gemeinsam mit dem ehemaligen Staatsmini­ster im Kanzleramt Eckart von Klaeden – heute Cheflobbyi­st für Daimler – sorgt er dafür, dass die Autokonzer­ne ihren Fuß weiterhin in der Politik und dem Kanzleramt haben.

Konzerne und Politiker bilden eine Zweckgemei­nschaft. Wesentlich­e Entscheidu­ngen gegen die Konzerne werden nicht mehr gefällt. Im Gegenzug lassen Konzerne den Politikern freien Lauf.

Diese Verquickun­g ist eine Gefahr für die Demokratie und sorgt dafür, dass die zwar legalen, aber schädliche­n Geschäftsm­odelle der Konzerne weiter existieren. Fatal ist, dass die Wähler mit ihrer Stimme immer weniger Einfluss haben. Die Demokratie wird zur Hülle – und Populisten sehen sich bestätigt. So darf es nicht weitergehe­n.

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