Hamburger Morgenpost

„Wir kämpfen nicht nur um die Bäume, sondern auch um die Herzen“

Hanna Poddig kämpf e gegen die Abholzung des Hambacher Forstes, jetzt fordert sie uns alle auf, Verantwort­ung für unsere Erde zu übernehmen

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Die Welt ist ein Schatz und die einzige Welt, die wir haben – für mich gibt es nichts Wichtigere­s, als darum zu kämpfen. Deswegen bin ich „Vollzeitak­tivistin“: Kette mich an Bahngleise, um gegen Bahntransp­orte der Bundeswehr zu protestier­en, oder nehme regelmäßig an Anti-Atom-Blockaden teil. Und ich war in den letzten Wochen auch im Hambacher Forst, um für eine bessere Welt zu kämpfen. Denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass diese möglich ist, sobald jeder Einzelne beginnt, umzudenken.

Es sind nicht nur der Hambacher Forst und die Hunderte Jahre alten Eichen, die der Rodung zum Opfer fallen werden. Es geht um mehr: Es geht um Menschen, die ein Zuhause verlieren. Um ein zerstörtes soziales Experiment, das dort in den vergangene­n Jahren entstanden ist. Menschen haben versucht, auf Augenhöhe miteinande­r zu leben und sich nicht über Hierarchie­n und Autoritäte­n zu organisier­en, sondern gemeinsam. Sie haben versucht, sich dort unabhängig von Geld oder Status zu begegnen.

Die Bäume im Hambacher Forst fallen vor der Frage, was sich der Staat mit dieser gewalttäti­gen Aktion eigentlich anmaßt, entscheide­n zu können. Es sind die Menschen, die die Rodungsmas­chinen fahren, die die Verantwort­ung für die Zerstörung dieses Waldes und das Weiterführ­en einer so verfehlten Energiepol­itik tragen. Auch die Polizisten tragen eine Verantwort­ung für das, was sie da machen. Wenn ich sehe, ich mache etwas, das nicht richtig ist, kann kein Befehl der Welt mich davon freisprech­en, dafür verantwort­lich zu sein.

Meiner Meinung nach werden Verantwort­lichkeiten vor allem in der Politik hin- und hergeschob­en. Dies wird dadurch begünstigt, dass Zuständigk­eiten und Formalität­en zu komplex sind: Wenn man einen Ministerpr­äsidenten hat, der sagt, ich kann für alles nichts, ich setze nur um, was die rot-grüne Regierung gemacht hat. Wenn man eine Polizei hat, die nur Befehle kriegt. Wenn Gerichte sagen, ihnen seien die Hände gebunden – dann übernehmen die Menschen keine Verantwort­ung. Und das ist sehr schmerzhaf­t.

Genau hier will ich mit meiner Arbeit ansetzen: in den Köpfen der Menschen. Für das Umdenken, das eine bessere Welt für uns alle impliziert, könnte ich nie auf ören zu kämpfen. Dabei möchte ich meine Vorstellun­g von einer „besseren“Welt niemandem aufzwängen: Es geht darum, gemeinsam nach ihr zu suchen.

Ob ich Angst habe, vor allem bei den teils lebensgefä­hrlichen Aktionen? Ich habe mehr Angst um andere als um mich. Um Menschen, die weit weg sind und in Kurdistan kämpfen.

Trotz aller Angst und Grausamkei­t, die gerade im Hambacher Forst herrschen, bin ich optimistis­ch: Ich spüre, dass ein Umdenken stattfinde­t. Die Menschen berührt die Situation dort. Sie schauen den Stream aus dem Wald, teilen Videos auf Facebook und Twitter. Die Menschen vor Ort merken, dass ihr Wald, in dem sie sonntags spazieren gingen, bald weg ist.

„Wir kämpfen nicht in erster Linie um die Bäume, sondern um die Köpfe und die Herzen“, sagte einer der Baumbesetz­er. Natürlich ist es jede Eiche wert, beschützt zu werden, aber trotzdem zeigt der Hambacher Forst als Gesamtproj­ekt, dass eine andere Welt möglich ist. Eine Welt, in der es nicht darum geht, möglichst viel Gewinn zu machen oder in Konkurrenz zu leben, sondern in der Solidaritä­t gelebt wird. Auch wenn der Wald eines Tages nicht mehr da ist, war es ein wertvoller Kampf.

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 ??  ?? Zwischen Aktivisten und Polizisten kam es bei der Räumung des Hambacher Forstes zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen.
Zwischen Aktivisten und Polizisten kam es bei der Räumung des Hambacher Forstes zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen.

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