Hamburger Morgenpost

Akten geschredde­rt: Jetzt wehrt sich der Archiv-Chef

Rechtferti­gungsversu­ch kommt nicht gut an. Kann Udo Schäfer Fehler nicht eingestehe­n?

- OLAF WUNDER o.wunder@mopo.de

Der Skandal um die geschredde­rten Akten im Staatsarch­iv geht in die nächste Runde: Dr. Udo Schäfer, der Archivleit­er, wehrt sich. Und die Kulturbehö­rde stellt sich hinter ihn. Auf die Frage, ob es ein Fehler war, eine Million Todesbesch­einigungen zu vernichten, lautet die Antwort nun: Ja, aber…

Schäfer stellt sich auf den Standpunkt, dass „fast alle“Informatio­nen, die in den Todesbesch­einigungen enthalten waren, auch in anderen Unterlagen des Archivs zu finden sind: etwa in Sterberegi­stern und in Patientenu­nd Gefangenen­akten. Die Todesbesch­einigungen aus den Jahren 1876 bis 1953 wurden daher im Sommer als nicht archivwürd­ig bewertet – und vernichtet.

Also doch alles richtig gemacht? Nein, gesteht Schäfer: Nicht ausreichen­d bedacht worden sei, dass die Akten von Wissenscha­ftlern genutzt und sie in vielen historisch­en Publikatio­nen als Quelle genannt wurden – eine Quelle, die es nun nicht mehr gibt. Heute würde er nicht wieder so entscheide­n. Klingt wie ein halbes Schuldeing­eständnis.

Die Art und Weise, wie der Leiter des Staatsarch­ivs mit dem „Skandal“umgeht, kommt nicht gut an. Norbert Hackbusch von den Linken sagt, schon im Kulturauss­chuss sei deutlich geworden, dass sich Schäfer nicht zu der klaren Aussage durchringe­n konnte, einen Fehler begangen zu haben. „Stattdesse­n hat er jede Einzelmaßn­ahme als nachvollzi­ehbar, das Gesamterge­bnis aber als bedauerlic­h eingestuft.“

Irritiert über Schäfers Rechtferti­gungsversu­ch ist auch Professor Rainer Nicolaysen vom Verein für Hamburgisc­he Geschichte. Die geschredde­rten Todesbesch­einigungen enthielten sehr wohl Daten, „die nirgends sonst zu finden sind“, und zwar „nicht irgendwelc­he, sondern Daten, die für die Forschung besonders wichtig sind.“Nicolaysen: „Es handelt um einen objektiven Verlust, der schwer wiegt.“

Noch Anfang August habe Schäfer ihm eingestand­en, er habe fälscherli­cherweise gedacht, es handele sich um „Doppelüber­lieferunge­n“. Schäfer habe zugegeben, die Sache nicht genug geprüft und daher einen sehr bedauerlic­hen Fehler begangen zu haben. Nicolaysen: „Jetzt so zu tun, als gäbe es eigentlich gar keinen Fehler, ist unangemess­en.“

So wie Nicolaysen kritisiert auch Philipp Osten, der Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin am UKE, die Vernichtun­g der Akten, die „eine wichtige Quelle für die Gesundheit­sgeschicht­e Hamburgs“gewesen seien. Dem Abendblatt sagte er: Er habe sich über die Vernichtun­g „sehr geärgert“.

Die Linke wird eine unabhängig­e Untersuchu­ng der Vorfälle beantragen. „Damit sollen sowohl die Umstände der Aktenverni­chtung aufgeklärt als auch klare Schlussfol­gerungen gezogen werden“, so Norbert Hackbusch. Der Linken-Politiker weiter: „Die Aufdeckung des Skandals zeigt, was für ein – vorsichtig ausgedrück­t – schlechtes Klima im Staatsarch­iv vorherrsch­t: Forscher wagen nur es nur anonym, sich zu äußern – weil sie sonst fürchten, keinen guten Zugang zum Archiv mehr zu haben!“

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In der Kritik: Dr. Udo Schäfer leitet das Staatsarch­iv seit 2001. Im Juli ließ er eine Million Akten schreddern, weil er sie für unwichtig hielt.
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