„Erst denken, dann Straße aufreißen!“
Der Vorsitzende des ADAC Hansa hält sich den Kopf, wenn er sieht, wie viele Baustellen in Hamburg völlig unkoordiniert eingerichtet werden
Der Verkehrsirrsinn in Hamburg, er ist bitterer Alltag. Auch für mich. Am Dienstag war ich mit dem Auto auf dem Weg zur Amsinckstraße. Die Fahrt war die reinste Hölle. Mir ist ja klar, dass es angesichts vieler Baustellen zurzeit etwas länger dauert, durch die Innenstadt zu kommen. Dass ich aber ausgerechnet in den Herbstferien auf ein derartiges Chaos stoße, damit habe ich nicht gerechnet.
Wenn in Hamburg Reisezeit ist, fließt der Verkehr besser – so ist es jedenfalls normalerweise! Doch an diesem Tag galt das nicht. Was niemand ahnen konnte: Nicht nur der Wallringtunnel war gesperrt. Von jetzt auf gleich und vollkommen unkoordiniert wurde auch noch am Glockengießerwall eine Baustelle eingerichtet. Die Folge: ein beispielloses Verkehrschaos!
Statt vier gab es nur noch eine Fahrspur Richtung Süden. Die Konsequenz: Statt fünf brauchte ich 40 Minuten für die kurze Strecke vom Dammtor bis zum Hauptbahnhof. Auf unsere Nachfrage bei der Behörde kam heraus, dass Stromnetz Hamburg ohne Genehmigung in Wildwest-Manier für sich entschieden hat, einfach parallel mal den Boden aufzureißen. Dass dabei auch noch die Radspur blockiert und die Zweiradfahrer gefährdet wurden, spielte dabei anscheinend keine Rolle.
Man muss sich das mal vorstellen: Wenn Sie in der City nur für ein paar Minuten falsch parken, können Sie sicher sein, dass Sie ein Andenken in Form eines Strafzettels am Scheibenwischer vorfinden. Wenn Sie aber eine Hauptverkehrsader lahmlegen, weil Sie ohne Segen der Behörde eine Baustelle einrichten, fällt das keinem auf! Wie ist das denn möglich? Auch wenn ich mich bereits seit Jahrzehnten mit der Verkehrspolitik beschäftige und dabei einiges erlebt habe, bin ich über so viel Dreistigkeit doch erstaunt.
Ein bedauerlicher Einzelfall? Wohl kaum! Egal ob Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger – fast jeder hat eine Anekdote über eine besonders nervige Baustelle auf Lager. Erzählstoff gibt es genug, schließlich hatten wir allein im letzten Jahr auf unserem 4000 Kilometer großen Straßennetz 20 000 Baustellen. Bei 70 Prozent waren Leitungsarbeiten der Grund oder der Wohnungsbau. Und nur 3000 davon wurden koordiniert. Das heißt: Nur bei jeder sechsten Baustelle
haben sich die Verantwortlichen Gedanken gemacht, ob sie zu diesem Zeitpunkt sinnvoll ist oder man sie besser verschieben sollte, weil bereits auf der Parallelstrecke die Bagger rollen.
Die Koordinierungsstelle KOST kümmert sich nur um das 550 Kilometer lange Hauptverkehrsstraßennetz. Für die untergeordneten Straßen sind die Bezirke zuständig, die nicht über ausreichend Personal verfügen, um jede Baustelle zu überprüfen. Ein Fehler, der immer wieder schlecht eingerichtete Geisterbaustellen zur Folge hat, auf denen nur im Schneckentempo gearbeitet wird.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Der ADAC kritisiert nicht, dass gebaut wird in unserer Stadt. Im Gegenteil. Die Baustellenflut ist eine Konsequenz jahrzehntelangen Nichtstuns. Straßeninstandsetzung ist teuer, und viel zu lange wurde auf Kosten der Infrastruktur gespart.
Wir begrüßen es, dass Hamburg vor fünf Jahren eine Kehrtwende hingelegt hat. Mit mehr als 150 Millionen Euro investiert der Senat so viel wie noch nie in das Straßennetz. Damit liegt die Hansestadt bundesweit an der Spitze! Gerade für Hamburg als schnell wachsende Metropole und Logistikdrehscheibe ist eine leistungsfähige Infrastruktur lebensnotwendig. Daher zeigen auch die ehrgeizigen Pläne des Senats zur Instandsetzung der Straßen, dem Ausbau der Radinfrastruktur und der Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs in die richtige Richtung.
Klar ist zwar, dass Bauarbeiten nie ohne Beeinträchtigungen des Verkehr, der Anwohner und der Gewerbetreibenden ablaufen können. Wo gehobelt wird, fallen nun mal Späne! Aber es ist unerlässlich, dass die Baustellen gut geplant, weitsichtig koordiniert und anschließend auch regelmäßig überwacht werden. Nur so erreichen wir die Akzeptanz der Verkehrsteilnehmer.
Nicht nur das Beispiel Glockengießerwall lässt daran zweifeln, dass das in der Praxis immer funktioniert. Leser der MOPO haben uns in den vergangenen Tagen jede Menge besonders ärgerliche, überflüssige und widersinnige Baustellen genannt. Am Montag beginnt jetzt der große Baustellen-Check von MOPO und ADAC. Indem wir den Finger in die Wunde legen, werden wir hoffentlich dazu beitragen, dass die Verantwortlichen in Zukunft eins tun, bevor sie den Asphalt aufreißen: nachdenken.