Die unbeugsame Stadt und das
Ob politische Unruhen oder der Niedergang des Schiffsbaus: Belfast, die Hauptstadt Nordirlands, rappelte sich immer wieder auf und ist heute attraktiver denn je
Von STEFANIE BISPING
Die elegante Bar sieht so aus wie im Frühling 1912, als die 71 Meter lange und elf Meter breite „SS Nomadic“mit Platz für tausend Passagiere im Hafen der französischen Stadt Cherbourg auf die Ankunft der Titanic aus Southampton wartete: Auf dem Tresen funkeln Kristallgläser. Ein Barmann poliert einen Cognacschwenker. Doch so lebensecht der Barkeeper auch wirkt – er wirbelt doch nur auf einem Bildschirm hinter dem Tresen.
Die SS Nomadic war ein sogenanntes Tenderboot und kleine Schwester der Titanic. Beide Schiffe wurden einst bei Harland & Wolff in Belfast gebaut, damals die größte Werft der Welt. Heute ist die Nomadic das letzte erhaltene Schiff der legendären White Star-Flotte.
Als Tenderboot sollte sie Passagiere der ersten und zweiten Klassen in Cherbourg zu den Ozeanriesen Olympic und Titanic bringen. Die waren einfach zu groß um im Hafen anzulegen.
Am 25. April 1911 lief die Nomadic bei Harland & Wolff vom Stapel; 2009 kehrte sie als Museumsschiff an ihren Geburtsort zurück, wo sie heute im Hamilton Dock in Belfast auf dem Trockenen liegt.
Jeden Winkel vom Deck bis zum Maschinenraum können die Besucher erkunden und der Hoch-Zeit der Atlantikschifffahrt – und ihrer schwersten Havarie – nachspüren. In Cherbourg ging das damals größte und modernste Schiff der Welt ein letztes Mal vor Anker, um Champagner und Passagiere aufzunehmen. Wenige Tage später – am 14. April 1912 um kurz vor Mitternacht – sank der Luxusliner im Nordatlantik.
Die Nomadic ist hingegen angenehm fassbar und tröstlicher Beweis, dass so ein Schiff eben doch eine ganze Weile hält, wenn man es nicht mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Eisberg steuert.
Nur einen Steinwurf entfernt erhebt sich das größte Titanic-Museum der Welt über den Pisten der Werft Harland & Wolff. Hier wurden die Schiffe ins Wasser bewegt.
Es beeindruckt durch seine Architektur – die Fassade besteht aus 30 000 Silberplatten – und fesselt durch seine Geschichten von der Hybris des Menschen und dem Tod von 1514 Menschen im eiskalten Nordatlantik.
Das Museum dokumentiert aber auch die maritimen Traditionen Belfasts, die erst dazu führten, dass hier die Idee von riesigen Luxuslinern geboren und umgesetzt wurde. Vor 400 Jahren schon wurden hier Schiffe gebaut, auch in verwandten Industrien wie der Fertigung von Tauen und Seilen war die Stadt führend.
Der Schiffsbau hat Belfast sichtbarer geprägt als die notorischen Machtkämpfe zwischen Protestanten und Katholiken. Noch immer wachen die Kräne der Werft Harland & Wolff – die höchsten frei stehenden der Welt, die man hier liebevoll Samson und Goliath nennt – wie Schutzengel über dem Building-Dock. Sie setzten gewaltige Schiffsteile zu Ozeanriesen zusammen.
2003 fertigte die Werft ihr letztes Schiff. Die Bewältigung des Niedergangs dieser Industrie ist Sinnbild für den Charakter einer Stadt, mit der es das Schicksal selten gut meinte und die sich doch immer wieder aufrappelte. Bis heute übernimmt die Werft Reparaturen und Wartungen. Im Sommer liegen zudem täglich Kreuzfahrtschiffe im Hafen, deren Passagiere in Nordirlands Gärten, an die Drehorte der Serie „Games of Thrones“und zum Giant's Causeway ausschwärmen, einer aus 40 000 Basaltsäulen bestehenden Gesteinsformation an der Nordküste. Die Dichte der Attraktionen sorgt für immer neue Besucherrekorde.
Für Belfast ist die Wiedergeburt ein wichtiges Signal. Seit die religiös motivierten Unruhen offiziell beendet sind und die Friedensgespräche der verfeindeten Parteien 1998 ins Karfreitagsabkommen mündeten, blickt die Stadt nach vorn – weshalb der Brexit, der in letzter Konsequenz eine neue harte Grenze zwischen der Republik und Nordirland bedeutet, hier auch nicht für Begeisterung sorgt.
Für Besucher sind die Spuren des Konflikts jenseits der politischen Wandbilder auf den „Friedenslinien“, den Mauern zwischen protestantischen und katholischen Vierteln, nicht sichtbar. Im Gegenteil: Mit dynamischem Nachtleben, dem schönen Universitätsviertel und hervorragenden Restaurants ist das einstmals graue und gebeutelte Belfast zum idealen Städteziel geworden.