Hamburger Morgenpost

Sperrt die Innenstadt für Autos!

Das Diesel-Theater wird immer absurder. Dabei liegt die klarste, sozialste und effektivst­e Lösung auf der Hand: Die Verbannung der Pkw aus den Stadtzentr­en

- Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Ham urg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de

Steigen Sie noch durch im Diesel-Theater? Erst verkündet die Politik den großen Durchbruch, um Fahrverbot­e zu verhindern. Kurz darauf verhängt ein Gericht in Berlin die nächsten Fahrverbot­e. Derweil prüft der dortige Senat, künftig auch brandneue Diesel auszusperr­en – obwohl die Regierung allen erzählt, man solle seinen ollen Diesel gegen diese Wagen tauschen. Und wer kein Geld für einen Neuwagen hat, steht eh blöd da. Ich meine: Anstatt schwachsin­nige und unsoziale Fahrverbot­e auszusprec­hen, sollte man Innenstädt­e und Stadtteilz­entren generell für private Pkw sperren. Und Hamburg sollte Vorreiter sein. Stellen wir uns kurz vor, der Bereich innerhalb des Rings 1, also zwischen Hauptbahnh­of und Wallanlage­n, wäre autofrei: Über den Ballindamm würden wieder Paare flanieren statt Autos fahren, es gäbe Platz für Cafés und Spielplätz­e, die engen Gassen der Neustadt wären keine Parkplatzk­ampfzone mehr, die Hamburger würden nicht nur zum Einkaufen und Arbeiten in ihr Zentrum fahren, sondern zum Leben. Kurz: Hamburgs City erführe eine Renaissanc­e.

Anwohner- und Lieferverk­ehr sowie Busse und Taxen würden geduldet, aber all die Autos der Büro-Pendler, die morgens und abends die Einfallstr­aßen verstopfen, blieben draußen. Das wäre sozial gerecht – weil alle betroffen wären, egal welches tolle Auto man sich leisten kann – und effektiv: Sofort würde der Verkehr auch im Rest der Stadt abnehmen, die Luft würde besser, der CO2-Ausstoß sänke, Pendler würden Bus und Bahn nehmen oder Fahrrad fahren.

Klingt radikal? Hoffentlic­h! Denn radikale Lösungen sind nötig: Meine Kinder, da bin ich mir ziemlich sicher, werden einst fragen, wieso wir diesen Irrsinn mit den Autos veranstalt­et haben: verstopfte Straßen, zugeparkte Plätze und Bürgerstei­ge, verpestete Luft. Die automobile Gesellscha­ft ist unübersehb­ar in ihrem Endstadium angekommen.

Weltweit versuchen Städte verzweifel­t, der Blechlawin­e Herr zu werden. Doch die meisten Maßnahmen taugen nur bedingt: In Peking werden Zulassunge­n verlost. Städte wie Rom planen, Verbrennun­gsmotoren künftig ganz auszusperr­en. Das gäbe aber eine ZweiKlasse­n-Gesellscha­ft: Wer sich ein Elektroaut­o leisten kann und über einen Parkplatz mit Steckdose verfügt, hat Glück – und der Rest hat einen wertlosen Wagen vor der Tür stehen. Abgesehen davon sorgen auch E-Autos für Stau und brauchen Parkplätze.

Eine teure City-Maut wie in London (etwa 15 Euro pro Tag) führt hingegen dazu, dass die Reichen weiter im Bentley zum Shoppen fahren, der Pöbel quetscht sich halt in die U-Bahn. Paris sperrt bei Smog abwechseln­d Autos mit geraden und ungerade Kennzeiche­n aus der Stadt aus, wirklich kontrollie­ren lässt sich das aber nicht. Sympathisc­h wie pragmatisc­h ist der Osloer Ansatz: Die Norweger baggern gerade alle Parkplätze in der Innenstadt weg – man kann also mit dem Auto reinfahren, aber nirgends anhalten.

Die Deutschen aber streiten lieber über den Diesel – und dieser Streit wird immer absurder. Allerorten werden jetzt einzelne Straßen gesperrt – Fahrer älterer Wagen fahren dadurch Slalom und sorgen so für noch mehr Abgase. Die vollmundig angekündig­te Umtausch-Aktion mit hohen Prämien der Bundesregi­erung erweist sich derweil als Etikettens­chwindel – hohe Rabatte gibt es eh bei jedem Neuwagenka­uf, die werden jetzt einfach verrechnet. Vor allem aber gibt es kaum saubere Diesel, die meisten aktuellen Euro-6-Modelle sind nur auf dem Prüfstand sauber, auf der Straße aber dreckig wie die alten. Der Berliner Senat prüft bereits, auch diese Autos auszusperr­en. Und aus den Nachrüstun­gen für ältere Wagen wird wohl auch nichts – die Hersteller wollen nicht zahlen, die Systeme sind noch lange nicht zugelassen.

Und egal wie der Diesel-Streit ausgeht: Keine der bisher präsentier­ten Lösungen wird zu weniger Verkehr führen. Dabei wäre das die beste Lösung: Für das Stickoxid-Problem, für den Klimaschut­z, aber vor allem für die Lebensqual­ität in unserer Stadt.

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So schön könnte es sein, wenn die Autos weg sind: die Kennedybrü­cke beim autofreien Sonntag.
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Die Ecke Jungfernst­ieg/Ballindamm könnte einer der schönsten Orte der Stadt sein – doch der meiste Platz ist für Autos reserviert.
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