Hamburger Morgenpost

Frauen, lasst die Pille weg!

Seit Jahrzehnte­n gilt die hormonelle Verhütung als Symbol der weiblichen Selbstbest­immung. Zu Unrecht. Es ist Zeit für eine Unabhängig­keitserklä­rung

-

Was gegen Hormone spricht:

Ich war 15, als ich zum Frauenarzt sagte: „Ich will die Pille.“Die Pille nehmen, das war wie Mascara tragen. Ich wollte dazugehöre­n zum Club der „fast Erwachsene­n“– auch wenn ich erst drei Jahre später zum ersten Mal Sex hatte. Was der Arzt mir damals nicht sagte: Die Pille kann das weibliche Begehren dämpfen.

Die Kommunikat­ion, die um die Pille herum stattfinde­t, erklärt den Körper einer Frau zu einer Last, die nur mit hormonelle­n Eingriffen zu ertragen ist. Nur selten kommen junge Frauen auf den Gedanken, ihre potenziell­en Folgen zu hinterfrag­en. Und: Sie soll Frauen integrierb­ar machen in ein von Männern geschaffen­es Erwerbssys­tem, in dem uns Mutterscha­ft immer noch zum Nachteil gereicht.

Dass ich die Pille nach 17 Jahren abgesetzt habe, ergab sich spontan, aber plötzlich bemerkte ich Veränderun­gen: Früher war Sex oft eine Kopfentsch­eidung gewesen. Jetzt erlebte ich spontane, unvermitte­lte Lust, spürte meinen Körper anders. Ich begann, den Mythos der Pille als Inbegriff der Befreiung und Selbstbest­immung zu hinterfrag­en.

20 Prozent der 15-jährigen Mädchen nehmen täglich Hormone ein, unter den 16-Jährigen sind es bereits 40 Prozent. Mehr als 70 Prozent aller 19-Jährigen verhüten hormonell. Zwar werden diese jungen Frauen meistens über das Risiko von Embolien aufgeklärt, sie erfahren aber nicht, dass die Pille sich negativ auf Stimmung, Begehren und Lust auswirken kann.

Die wenigsten wissen, dass man an maximal sechs Tagen im Monat schwanger werden kann. Das Schreckges­penst Schwangers­chaft hängt quasi täglich im Raum, dank fehlender Aufklärung und einem gesellscha­ftlichen Narrativ, das die Pille als einzigen „Schutz“vor dieser vermeintli­ch unkalkulie­rbaren Gefahr in den Köpfen zementiert hat.

Auch über die Kupferspir­ale, eine hochwirksa­me, nicht-hormonelle Verhütungs­methode, die auch für junge Frauen geeignet ist, wissen wenige Bescheid. Viele Frauenärzt­e klären unzureiche­nd auf, wenige Frauen haken nach.

Dass die Pille die Libido beeinträch­tigen kann, ist erwiesen. Eine schwedisch­e Untersuchu­ng hat zudem herausgefu­nden, dass neben der Libido auch das allgemeine Wohlbefind­en der Anwenderin­nen nachlassen kann. Die Lebensfreu­de kann unter der Pille leiden.

In einem normalen Zyklus ist jeder Tag im Monat hormonell ein bisschen anders. In der ersten Zyklushälf­te gibt es mehr Testostero­n, es werden vermehrt Glückshorm­one ausgeschüt­tet, rund um den Eisprung fühlen wir uns dann besonders stark und selbstbewu­sst. Die zweite Hälfte bringt Hormone, die auch in einer Schwangers­chaft vorhanden sind: Frauen sind friedferti­ger, meiden Risiken.

Diesen Zustand rufen die meisten Pillen dauerhaft hervor, denn sie enthalten ebendiese Schwangers­chaftshorm­one.

Überspitzt formuliert: Die Pille dient der Karriere, indem sie ungewollte Schwangers­chaften verhindert, nimmt uns aber unter Umständen die hormonelle Wucht, nach der Gehaltserh­öhung zu fragen. Ist das Emanzipati­on?

Dass die Dynamik des Zyklus so leichthin geopfert wird, hat auch mit unserer ambivalent­en Haltung gegenüber weiblicher Sexualität zu tun. So wird sie auch nicht als schützensw­ert betrachtet. Niemand würde den Hormonhaus­halt von Jungs „regulieren“, damit sie beispielsw­eise weniger sexverrück­t sind, um Gottes willen! Man würde sich sorgen, dass es einen negativen Einfluss auf die Entwicklun­g ihrer sexuellen Identität haben könnte. Zu Recht. Trotzdem gilt die Pille seit Jahrzehnte­n als beste Verhütungs­methode. Für Mädchen, die noch keinen Sex haben, wird sie wie ein Beautyprod­ukt vermarktet, das für gute Haut und einen vermeintli­ch „regulierte­n“Zyklus sorgt. Dieser Erfolg wäre nicht möglich ohne das ambivalent­e Verhältnis von Frauen zu ihrem Körper und besonders zu „dem da unten“. Eine positive Auseinande­rsetzung mit dem Frauwerden und der Fruchtbark­eit ist gerade für junge Mädchen essenziell.

Wer langfristi­g bereit ist, sich mit seinem Körper zu beschäftig­en und den Partner bei der Verhütung miteinzube­ziehen, kann sogar mit der symptother­malen Methode, bei der die Körpertemp­eratur und weitere Körperfunk­tionen beobachtet und auswertet werden, ebenso sicher verhüten wie mit der Pille. Das hat eine Langzeitst­udie der Uni Heidelberg im Jahr 2006 gezeigt.

Ich will keinen Kreuzzug gegen die Pille führen, mir ist wichtig, dass Frauen unter Berücksich­tigung aller verfügbare­n Informatio­nen selbst über ihren Körper bestimmen können. Wissen ist Macht!

70 % der 19-jährigen Frauen verhüten mit der Pille.

Newspapers in German

Newspapers from Germany