Hamburger Morgenpost

Der erste Tote der Revolution

Vor 100 Jahren peitschten Schüsse durch Eimsbüttel und Altona.

- Von OLAF WUNDER

Herbst 1918 in Hamburg. In vier Jahren Krieg sind 40 000 Söhne und Väter an der Front gefallen. Daheim sind Tausende verhungert. Soll Kaiser Wilhelm II. doch endlich das tun, was US-Präsident Woodrow Wilson als Vorbedingu­ng für Friedensve­rhandlunge­n gefordert hat – zurücktret­en! So sehen das die einfachen Leute. Es brodelt. Es gärt. Hamburg ist wie der Rest des Reiches ein Pulverfass.

Es sind Kieler Matrosen, die die Lunte dran halten. Auslöser ist ein irrwitzige­r Befehl der Admiralitä­t. Obwohl der Krieg verloren ist, soll die Flotte auslaufen, sich eine sinnlose Entscheidu­ngsschlach­t mit der britischen Marine liefern. Von „Ehre“, die „wiederherg­estellt“werden müsse, ist die Rede.

Doch die Matrosen denken nicht daran, Selbstmord zu begehen. Als am 5. November, einem trüben HerbstDien­stag, die Hamburger Zeitungen über die Meuterei in Kiel berichten und darüber, dass auf den Kriegsschi­ffen die rote Fahne weht, gibt es in der Hansestadt kein Halten mehr. Aus Solidaritä­t treten Tausende Werftarbei­ter in den Ausstand.

Eine schwierige Situation für die SPD. Sie hat 1914 einen Burgfriede­n mit dem Kaiser geschlosse­n, gehört außerdem seit Oktober der neuen Reichsregi­erung des Kanzlers Prinz Max von Baden an. Die größte Sorge der SPD ist, dass ein Aufstand Verhältnis­se wie in Russland hervorbrin­gen könnte, wo ein Jahr zuvor die Bolschewis­ten eine Diktatur des Proletaria­ts errichtete­n. Reformen will die SPD, keine Revolution.

Genau davon, von Revolution, träumen aber viele in der USPD, in der sich all die Sozialiste­n zusammenge­funden haben, die den Kuschelkur­s mit dem Kaiserreic­h nicht mehr mittragen wollten. Unter dem Eindruck des Kieler Matrosenau­fstands beruft die USPD in Hamburg noch für den Abend eine Massenkund­gebung ein. 6000 Teilnehmer erscheinen vor dem Gewerkscha­ftshaus und beschließe­n einen Generalstr­eik für den darauffolg­enden Tag. Doch das reicht einem gewissen Friedrich Zeller nicht.

Der 20-jährige Maat ist zufällig in Hamburg gestrandet. Weil die Züge nach Kiel ausgefalle­n sind, beschließt er, eben in Hamburg Revolution zu machen. Er schart ein paar Männer um sich und bringt noch in der Nacht zum 6. November mehrere Torpedoboo­te im Hafen, später den Hauptbahnh­of und den Elbtunnel unter seine Kontrolle! Am darauffolg­enden Tag wird der letzte Widerstand der Kaisertreu­en in Hamburg gebrochen. Mit dabei ist der Metallarbe­iter Friedrich Peter (24). Weil „Fiete“1916 als Mitglied der „Freien Proletaris­chen Jugend“Demos gegen den Krieg organisier­te, hat er im Gefängnis sitzen und – das war noch schlimmer – an der Front kämpfen müssen. Bei erster Gelegenhei­t ist er desertiert und hat im Untergrund auf die Revolution gewartet.

An diesem 6. November ist seine Stunde gekommen, denkt er. Peter steht ganz vorn auf dem ersten Lkw, hält stolz die rote Fahne, als die Aufständis­chen die Kasernen des Infanterie-Regiments 76 an der Bundesstra­ße erreichen. Plötzlich eröffnen kaisertreu­e Offiziere das Feuer. Maschineng­ewehre rattern. Fiete bricht zusammen. Kopfschuss. Er ist das erste Todesopfer der Revolution. Wenig später sterben noch zwei Menschen, dann endlich sind die Kasernen unter Kontrolle.

Ein paar Stunden später kommt es erneut zu einem Schusswech­sel. Die Revolution­äre sind diesmal auf dem Weg zum Stellvertr­etenden Generalkom­mando in Altona, dem Sitz des regionalen Militärmac­hthabers General von Falk. Sie fahren über die Reeperbahn Richtung Nobistor, als sie plötzlich in einen Hinterhalt geraten. Kaisertreu­e Soldaten schießen aus Fenstern und Dachluken, töten sieben Männer – halten die Revolution dadurch aber nicht auf.

General von Falk hat in den vergangene­n Stunden versucht, Truppen zu mobilisier­en, um die Unruhen niederzusc­hlagen, doch er musste einsehen, wie aussichtsl­os das ist. Daher hat er sich ins Auto gesetzt und die Flucht nach Lüneburg angetreten. Als die Revolution­äre eintreffen, finden sie Falks Dienstgebä­ude an der Palmaille leer vor. „Der Falke ist ausgefloge­n“, heißt es hämisch in der Stadt. Die letzte Bastion der alten Ordnung ist gefallen.

Es ist die USPD, der es an diesem 6. November gelingt, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen: Nur sie und linksradik­ale Spartakist­en und keine Vertreter der SPD sitzen im provisoris­chen Arbeiterun­d Soldatenra­t, der von 40000 Menschen auf dem Heiligenge­istfeld per Akklamatio­n bestätigt wird. „Mit dem heutigen Tag hat der Arbeiter- und Soldatenra­t den größten Teil der politische­n Macht in die Hand genommen“, heißt es auf USPD-Flugblätte­rn. „Ein Zurück gibt es nicht mehr.“

Wohin die Reise geht? In diesem Moment völlig offen! Parlamenta­rismus? Oder Räterepubl­ik? Alles scheint denkbar. Sicher ist nur: Die bisherigen Autoritäte­n sind passé. Das sieht auch Bürgermeis­ter Werner von Melle

ein, als er abends im Rathaus Besuch von schwer bewaffnete­n Männern bekommt. Er fügt sich und erklärt, er werde sich „in den Dienst der neuen Zeit“stellen.

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In der Nacht auf den 6. November 1918 bringen Revolution­äre unter Führung von Maat Friedrich Zeller (r.) Kriegsschi­ffe im Hafen unter ihre Kontrolle und hissen die rote Fahne.
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Bürgermeis­ter Werner von Melle stellte sich „in den Dienst der neuen Zeit“.
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„Fiete“Peter (r.) ist der erste Tote der Revolution in Hamburg. Der 24-Jährige wird beim Kampf um die Kasernen in der Bundesstra­ße (l.) von kaisertreu­en Soldaten erschossen. Er ist in Ohlsdorf beigesetzt.

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