Hamburger Morgenpost

Wann soll ich eingreifen?

Der Fall beschäftig­t die ganze Stadt: 44-Jähriger half einer Frau und wurde fast zu Tode geschlagen

- THOMAS HIRSCHBIEG­EL t.hirschbieg­el@mopo.de

Helfer in Lebensgefa­hr! Nach der brutalen Attacke am Michel erklärt die MOPO: In welchen Situatione­n soll man sich einmischen – und in welchen nicht

Martin B. (Name geändert) wollte am Michel einer bedrängten Frau helfen. Jetzt ringt er mit dem Tod. Ganz Hamburg nimmt Anteil am Schicksal des 44-Jährigen, der in der Nacht zum Sonntag das Opfer brutaler Schläger wurde, die übrigens immer noch auf der Flucht sind. (MOPO berichtete) Viele Menschen fragen sich jetzt: Ist Zivilcoura­ge lebensgefä­hrlich? Soll ich eingreifen oder besser nicht? Die MOPO beantworte­t die wichtigste­n Fragen.

➤ Hat Martin B. in der Situation richtig gehandelt? Ja. Die Frau, der er zu Hilfe kam (sie hat sich inzwischen bei der Polizei gemeldet ), saß gegen 3.25 Uhr allein in ihrem Auto und wurde an der Kreuzung Ludwig-ErhardStra­ße/Englische Planke von zwei Insassen eines BMW laut Polizei in „belästigen­der Weise“angesproch­en. Martin B. und ein 36jähriger Begleiter forderten die BMW-Insassen daraufhin auf, das zu unterlasse­n. Es war für sie offenbar zu keiner Zeit ersichtlic­h, dass die Täter sie wenig später mit äußerster Gewalt attackiere­n würden.

➤ Was rät die Polizei? Die Polizei sagt: „Jeder hilft so, wie er es sich selbst zutraut.“ Und weiter: „Keiner erwartet Heldentate­n, niemand muss sich in Gefahr begeben“. Die Polizei rät, andere Umstehende direkt anzusprech­en und zum Handeln aufzuforde­rn, um nicht alleine dem Angreifer ausgesetzt zu sein.

Immer falsch ist es laut Polizei, gar nichts zu tun und wegzusehen. Jeder, auch der älteste und schwächste Mensch, kann den Notruf 110 wählen.

➤ Kann ich belangt werden, wenn ich die Situation falsch eingeschät­zt habe und gar keine Gefahrensi­tuation vorlag? Nein. Die Polizei sagt eindeutig: Lieber einmal zu viel den Notruf wählen als nichts tun. Ein Missbrauch von Notrufeinr­ichtungen liegt nur dann vor, wenn jemand die Polizei oder die Feuerwehr böswillig in die Irre führt. Nur dann muss der Betreffend­e die Kosten des Einsatzes übernehmen.

➤ Ich kann Kampfsport, hilft mir das beim Einschreit­en gegen Gewalttäte­r? Kaum. Auf der Matte mit anderen Sportlern fair Karate oder Judo zu trainieren ist das eine, auf der Straße Typen gegenüberz­ustehen, die sich vielleicht jede Woche mit anderen Schlägern herumprüge­ln, etwas ganz anderes. Im übrigen hilft auch die ausgefeilt­este Selbstvert­eidigungst­echnik nicht gegen einen Angreifer, der ein Messer zieht. Wer solch einem Aggressor gegenübers­teht, muss vor allem mental stark sein und die Situation cool beurteilen können. Das sagt einem jeder profession­elle Personensc­hützer oder Türsteher. Damit aber dürfte ein auch noch so gut trainierte­r Normalbürg­er überforder­t sein.

➤ Was passiert, wenn ich beim Einschreit­en über das Ziel hinausschi­eße und einen Angreifer schwer verletze? Wenn tatsächlic­h eine Notwehr oder Nothilfe-Situation zugrunde liegt, dann geschieht einem in der Regel nichts. Der Gesetzgebe­r kennt den Begriff der exzessiven Nothilfe. Wer also in einer brenzligen Situation aus „Verwirrung, Furcht oder Schrecken“zu

Keiner erwartet eine Heldentat. Helfen Sie so, wie Sie es sich selbst zutrauen.

René Schönhardt, Polizei

hart zuschlägt oder gar einen Angreifer tötet, bleibt straffrei.

➤ Was geschieht, wenn ich beim Einschreit­en vom Täter verletzt werde? Wer sich im Interesse der Allgemeinh­eit besonders einsetzt, der ist grundsätzl­ich gesetzlich unfallvers­ichert. Außerdem kann bei schwerwieg­enden Verletzung­en das Opferentsc­hädigungsg­esetz wirksam werden. Nach schwerwieg­enden Verletzung­en bekommen die Opfer Geld vom Staat für ärztliche Behandlung und Rehabilita­tion.

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 ??  ?? Szene aus dem Film „Zivilcoura­ge“von 2010. Götz George (1938-2016) spielt dort einen Berliner Buchhändle­r, der sich mit Gang-Mitglieder­n anlegt.
Szene aus dem Film „Zivilcoura­ge“von 2010. Götz George (1938-2016) spielt dort einen Berliner Buchhändle­r, der sich mit Gang-Mitglieder­n anlegt.
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