Was geht mich ein Bürgerentscheid am Mühlenkamp an?
Joachim Lau von „Mehr Demokratie“will unsere Autorin überzeugen
Am Mühlenkampkanal (Winterhude) wird heftig gestritten: Ein Investor will 100 Wohnungen bauen, die Anwohner fürchten um die Lebensqualität in ihrem Stadtteil (MOPO berichtete). Ein Bürgerbegehren soll nun für eine Entscheidung sorgen – bis Donnerstag kann noch abgestimmt werden. MOPO-Redakteurin Miriam Khan – wohnhaft in Hoheluft – hatte auch Wahlunterlagen im Briefkasten. Doch was geht mich diese Abstimmung an, fragt sie sich. Joachim Lau vom Verein „Mehr Demokratie“will sie überzeugen, dennoch zu wählen.
MOPO: Herr Lau, das Bürgerbegehren findet im gesamten Bezirk Nord statt, betrifft aber in der Sache nur einen ganz kleinen Bereich, nämlich das Baugebiet an der Dorotheenstraße. Was habe ich als Hohelufterin damit zu tun? Joachim Lau: Also erst mal, die Struktur in Hamburg ist so, wie sie ist. Wir haben sieben Bezirke. Und innerhalb dieser sieben Bezirke gibt es die Möglichkeit für ein Bürgerbegehren. Eine kleinere Ebene als den Bezirk haben wir für ein Bürgerbegehren nicht. Deswegen dürfen in diesem Fall auch die Hohelufter wie Sie, die Langenhorner, die Dulsberger und eben die Winterhuder abstimmen.
Verstehe. Aber unabhängig davon: Wieso sollte ich mich als Hohelufterin für die Bebauung in Winterhude verantwortlich fühlen? Man kann das unter verschiedenen Aspekten sehen. Ich glaube, es ist zum einen ein Stück weit Solidarität mit den Menschen vor Ort. In diesem Fall geht es um die Debatte: Wohnungen oder Lebensqualität im Stadtteil? Da kann ja jeder selbst entscheiden, was ihm in der Stadt wichtiger ist.
Aber ist es nicht wahnsinnig anmaßend, wenn ich als Hohelufterin da anfange, mitzumischen? Die Winterhuder werden schon wissen, was das Beste für sie ist, oder?
Klar, diese Einstellung kann man haben. Man wird ja nicht gezwungen, abzustimmen. Aber je mehr Leute abstimmen, desto höher ist die Wahlbeteiligung. Und je höher die Wahlbeteiligung, desto mehr Gewicht und Relevanz hat das Bürgerbegehren.
Wieso ist das wichtig?
Weil der Senat immer das letzte Wort hat. Ein Bürgerbegehren ist nicht bindend. Es ersetzt zwar von der Form her einen Beschluss der Bezirksversammlung, aber der Senat kann es auch einfach ignorieren, man nennt das „Evokation“.
Und was hat das mit der Wahlbeteiligung zu tun? Je höher die Wahlbeteiligung, desto stärker der Bürgerwille. Das macht es dem Senat schwerer, ein Bürgerbegehren einfach so zu evozieren. Ignoriert er nämlich ein Bürgerbegehren mit starker Wahlbeteiligung, ignoriert er den Willen sehr vieler Hamburger. Und dann droht Ärger. Oder anders ausgedrückt: Bei einer geringen Wahlbeteiligung hat es der Senat leichter, zu sagen: „Jetzt evozier ich, das hat ja nur ein paar Leute interessiert.“
Wie oft passiert das denn?
Das passiert schon ab und an. Sehr häufig werden Bürgerbegehren auch „kalt evoziert“. Das bedeutet: Eine Initiative meldet das Bürgerbegehren an und kurz darauf weist der Senat den Bezirk an, dass das Bürgerbegehren nicht mehr zulässig ist. Dann kommt es gar nicht zustande.
Wer kann denn ein Bürgerbegehren überhaupt anmelden?
Es muss immer ein Zusammenschluss verschiedener Bürger sein, die klassischen Bürgerinitiativen also.
Das bedeutet: Eine kleine Minderheit kann dem Stadtteil ihren Willen aufzwingen?
Nein. Die Initiatoren müssen ja immer erst mal Überzeugungsarbeit leisten. Nur wenn ihre Argumente stark sind, können sie die Leute mobilisieren. Und wir müssen da schon auch auf die Bürger vertrauen: Der Bürger denkt nicht nur an sich, er handelt gemeinwesenorientiert. Der Bürger weiß schon, was er tut. Der Bürgerwille ist also immer der richtige? Ich behaupte nicht, dass der Bürger immer alles richtig macht – die Politik aber auch nicht. Aktuelles Beispiel: HSH-Nordbank. Aber ich glaube schon, dass dieses Korrektiv dazu führt, dass politische Prozesse besser werden. Weil Bürgerbegeh-
Niemand wird gezwungen, abzustimmen. Aber es zeigt Solidarität mit den Betroffenen! Joachim Lau
ren die Entscheidung von Politikern infrage stellen – und gegebenenfalls auch korrigieren können.
Aber wenn niemand „von oben“eine Entscheidung trifft, wird doch nur noch gestritten, oder?
Ich möchte gar nicht, dass Entscheidungen „von oben“ getroffen werden. Ich möchte als Bürger beteiligt sein. Und es wird ja auch nicht jede Sache über ein Bürgerbegehren entschieden.
Sorgt so ein Bürgerbegehren nicht auch für eine Spaltung der Gesellschaft, wenn man so eine Diskussion öffentlich austragen lässt? Nein, ein Bürgerbegehren kann viel eher zur Befriedung beitragen! Und das beste Bürgerbegehren ist ohnehin das, das niemals stattfindet – weil die Beteiligten sich schon vorher einigen.
Das Interview führte MIRIAM KHAN