Drei Mal stach ihr Ex-Freund auf sie ein. In der MOPO schildert Vanessa (26) die blutige Nacht – und ihre Angst vor dem Tag, an dem der Täter freikommt
GEWALT GEGEN FRAUEN Vanessa K. wurde von ihrem ehemaligen Partner in der Wohnung übefallen. Das Urteil gegen ihn findet sie zu milde
Jeden Tag versucht ein Mann in Deutschland, seine Partnerin oder Ex-Partnerin umzubringen. So steht es in der Polizeilichen Kriminalstatistik. Hinter jedem Fall steht das Schicksal einer Frau, der ausgerechnet der Mensch zum Verhängnis wird, den sie einmal geliebt hat. Eine von ihnen: Vanessa K. (26, Name geändert), die von ihrem Ex-Freund mit einem Messer angegriffen wurde – in ihrer eigenen Wohnung in Bramfeld. In der MOPO erzählt sie, was ihr angetan wurde und wieso sie das Urteil gegen ihren Ex für zu milde hält.
Vanessa K. sitzt in ihrem Wohnzimmer, jenem Raum, in dem sie am Morgen des 22. Juli 2018 plötzlich ihrem Ex gegenüberstand. „Ich war gerade wach geworden“, erzählt die junge Frau mit den violetten Haaren und den hellen Augen, „ich kam aus dem Schlafzimmer, wollte zu meinem Handy, da stand er mitten im Zimmer, nackt, mit einem Messer in der Hand und sagte: ,Suchst du dein Handy?‘“
Wie er in die Wohnung gekommen ist, bleibt ein Rätsel. Vielleicht hat er sich einen Schlüssel nachmachen lassen, vielleicht kam er durch das Fenster, das nicht richtig schloss. In jedem Fall: Er kam, während sie schlief – ein Albtraum.
Vanessa stürzte panisch Richtung Wohnungstür: „Aber die hatte ich abends aus Angst extra abgeschlossen.“Bevor sie die Tür öffnen konnte, war Pouria A.
(25) bei ihr, stach drei Mal zu, traf sie an Hüfte, Bauch, Rippen: „Dann stieß er mich zu Boden, würgte mich.“Wie lange das folgende Geschehen sich hinzog, ist unklar, Vanessa kommt es vor wie Stunden: „Er schrie, dass ich einen neuen Typen habe, dann stach er sich selbst ins Bein, verlangte, dass ich ihn töten sollte.“Die junge Frau redete um ihr Leben: „Er forderte von mir, ich solle ihn heiraten und wir sollten Kinder bekommen, ich habe ihm alles versprochen.“In Todesangst drückte sie sich ein Geschirrtuch auf die Schnittwunden, sagte alles, was ihr ebenfalls blutender Angreifer hören wollte – und ist in Gedanken die ganze Zeit bei den wichtigsten Menschen in ihrem Leben: „Meine kleine Tochter hatte bei meiner Mutter übernachtet. Ich dachte, ich sehe die beiden nie wieder.“
Über ihre Mutter hatte die junge Mitarbeiterin eines Call-Centers ihren Ex Mitte 2016 kennengelernt. Der gebürtige Iraner wohnte in dem selben Mehrfamilienhaus wie ihre Mutter. Er hatte Vanessa auf der Straße angesprochen.
Liebe auf den ersten Blick war es bei ihr nicht, aber die Zuneigung wuchs, besonders als Vanessa sah, wie liebevoll der junge Mann mit ihrer kleinen Tochter umging: „Sie nannte ihn schnell Papa.“
Es war ihre Mutter, die das Unheil nahen sah: „Die beiden waren wie zwei Chemikalien“, sagt Beatrice U. (50) zur MOPO, „für sich genommen harmlos, aber in der Mischung hochexplosiv.“
Dass der Freund ihrer Tochter ein Asylbewerber war, sei nicht das Problem gewesen, das ist der Schweizerin wichtig, klarzustellen: „Ich habe meine Kinder so erzogen, dass niemand etwas dafür kann, wo er geboren wurde. Mensch ist Mensch.“
Es kommt immer öfter zum Streit, auch zu Gewalt. Pouria A. schlägt mit der Faust Löcher in Türen. Als Vanessa nach ein paar Tagen Urlaub nach Hause kommt, hat er die halben Tapeten von den Wänden gerissen.
Die junge Mutter trennt sich: „Ich habe gemerkt, die Beziehung ist nicht gesund für mich. Das war keine Liebe. Er war total fixiert auf mich.“
Aber Pouria A. lässt nicht locker: „Er lauerte mir vor dem Haus auf, im Keller fand ich ein Lager, er schlief dort. Ich fand auch Marihuana und einen Benzinkanister.“Am Tag vor der Messerattacke, sagt Vanessa, sei sie bei der Polizei gewesen: „Die sagten, ich solle das mit ihm klären.“
Auch während des Angriffs steht Pouria A. unter Drogen, hat Kokain und 1,4 Promille Alkohol im Blut. Das Amtsgericht Barmbek wird das später als strafmildernd ansehen, ebenso verminderte Schuldfähigkeit wegen einer psychischen Erkrankung annehmen.
An jenem schrecklichen Vormittag bietet Pouria A. schließlich an, einen Rettungswagen zu rufen, unter einer Bedingung: „Ich sollte der Polizei sagen, dass meine Verletzungen von einem Überfall stammen.“Aus Angst log Vanessa die ersten Beamten, die in die Wohnung kamen, tatsächlich an.
Dass er Hilfe gerufen hat, unbestraft war und sich im Prozess reuig zeigte, wird das Gericht alles als strafmildernd werten. Am Ende wird Pouria A. wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Die Verletzungen seien zwar gravierend, so das Gericht, aber die Misshandlungen seien „nicht aus übersteigertem Besitzdenken“erfolgt.
Für Vanessa und ihre Mutter ist die Milde unverständlich: „Schon die Anklage hätte auf versuchten Totschlag lauten müssen.“Beide wollen das Urteil anfechten, suchen einen Anwalt. Vanessa: „Ich habe Angst, dass er nach seiner Haftentlassung vor der Tür steht.“Umziehen will sie nicht: „Ich habe lange eine Wohnung gesucht. Das hier ist das Zuhause für meine Kleine und mich.“
Ich merkte, dass die Beziehung nicht gesund war. Das war keine Liebe, er war fixiert auf mich. Vanessa K.