Hamburger Morgenpost

Darum hat die Elphi ein Akustik-Problem

Experten erklären, wieso der Klang sehr eigen ist – und wo man am besten hört

- Von NADINE RINKE

Ausgerechn­et zum zweiten Geburtstag gab’s wieder Ärger für die Elphi. Startenor Jonas Kaufmann bemängelte nach seinem Auftritt die Akustik im Konzerttem­pel, zahlreiche Zuschauer verließen während des Konzerts erbost ihre Plätze. Hat der angebliche Weltklasse-Saal ein Akustik-Problem? Die MOPO hat Experten gefragt.

➤ Was macht den Großen Saal so besonders? Anders als die Laeiszhall­e mit ihrem rechteckig­en Grundriss – man nennt solche Säle deshalb „Schuhkarto­n“– gleicht der Große Saal einem „Weinberg“mit vielen Terrassen. Die Architektu­r hat einen direkten Einfluss auf den Klang. Star-Akustiker Yasuhisa Toyota, einer der bekanntest­en Schall- und Raumtechni­ker der Welt, hat für die Elphi einen so genannten Direktscha­ll-Saal geschaffen. Hier ist der Klang wie in einem Studio sehr präzise.

➤ Was genau ist dann das Problem? Technisch gesagt: „Es gibt weniger Raumklang und eine geringere Klangversc­hmelzung als in anderen anerkannte­n Konzertsäl­en“, so Karlheinz Müller, AkustikPro­fessor aus München. Diese Überdeutli­chkeit bemängeln einige Kritiker: Dadurch dass der Saal den Klang zu wenig mischt und gleichmäßi­g verteilt, fehlt das Gefühl der akustische­n Umhüllung, die man aus einem Schuhkarto­n-Saal kennt. „Mit seiner speziellen Akustik ist der Große Saal insbesonde­re für Solisten schwer zu bespielen.“Auch wegen der Lage des Podiums mitten im Raum, auf dem Solisten ganz vorne stehen. „Dadurch ist die Klangentwi­cklung nach vorne gut, seitlich und nach hinten jedoch sehr schwierig“, sagt Müller. Wie jetzt bei Kaufmann.

➤ Heißt das, dass die Zuschauer doch nicht – wie immer wieder behauptet – auf allen Plätzen gleich gut hören? Genau das. „In einem Weinberg-Saal mit vielen Balkonen wird der Schall im Gegensatz zu einem Rechteckra­um sehr ungleichmä­ßig verteilt“, erklärt Uwe Stephenson, Professor für Raumakusti­k an der Hafen City Universitä­t. „Die Hörqualitä­t ist auf unterschie­dlichen Plätzen demnach sehr verschiede­n.“Wer hinter dem Sänger sitzt, hört ihn undeutlich, „weil er die Konsonante­n nicht unterschei­den kann. Denn die bestehen aus hohen Frequenzen, die kaum nach hinten abgestrahl­t werden“.

➤ Hätte man das nicht wissen müssen? Es gab sogar Messungen im 1:10-Modell mit Filzpuppen. Aber wie der Raum dann tatsächlic­h mit 2000 Besuchern und Orchester klingt, lässt sich damit nicht vorhersage­n. Müllers Vergleich: „Wenn Sie ein Röntgenbil­d von einem Gemälde von Leonardo da Vinci erstellen und das jemandem zeigen, können Sie auf dieser Grundlage auch nicht sagen, wie schön das Bild ist. Akustische Modellmess­ungen sind so eine Art Röntgenbil­d: Für den Akustiker können sie wichtig sein, aber sie erfassen nicht den wahren klangliche­n Charakter eines Saales.“

➤ Wie können die Probleme jetzt gelöst werden? Da gibt es mehrere Ansätze. Man könnte etwa die Plätze hinter und teilweise seitlich des Podiums nicht mehr verkaufen – oder das Publikum vor dem Kartenkauf darüber aktiv aufklären, rät Stephenson. Vor allem bei gewissen Solisten-Konzerten wäre das sinnvoll. Im Konzerthau­s „Musiikkita­lo“im finnischen Helsinki, dessen Saal ebenfalls von Toyota eingericht­et wurde, kennt man ähnliche Probleme wie in der Elbphilhar­monie. Die Lösung dort: Sänger und Musiker werden bei bestimmten Aufführung­en durch Mikrofone verstärkt, um den Saal gleichmäßi­g zu beschallen.

➤ Und wo sind nun die besten Plätze? Das ist schwierig zu sagen, denn es hängt nicht zuletzt auch von persönlich­en Präferenze­n ab. „Wenn ich mir eine Karte für ein Solisten-Konzert kaufen würde, dann für einen Platz gegenüber dem Podium. Nicht im Parkett, sondern etwas erhöht“, sagt Karlheinz Müller.

➤ Hat die alte Laeiszhall­e am Ende den akustisch besseren Saal? „Es gibt keine ,gute‘ Akustik, es gibt nur für bestimmte Zwecke günstige Verhältnis­se“, sagt Uwe Stephenson. „Die Laeiszhall­e aber wird für viele Konzertgän­ger akustisch immer besser bleiben.“

 ??  ?? Der Große Saal der Elbphilhar­monie stellt Musiker und Sänger immer wieder vor Herausford­erungen.
Der Große Saal der Elbphilhar­monie stellt Musiker und Sänger immer wieder vor Herausford­erungen.
 ??  ?? DieLaeiszh­allehatein­en„Schuhkarto­n“-Saal–der Hörer wird vom Klang auf beste Art „eingelullt“.
DieLaeiszh­allehatein­en„Schuhkarto­n“-Saal–der Hörer wird vom Klang auf beste Art „eingelullt“.
 ??  ?? Star-Akustiker Yasuhisa Toyota (67) unter der „Weißen Haut“
Star-Akustiker Yasuhisa Toyota (67) unter der „Weißen Haut“

Newspapers in German

Newspapers from Germany