Wind, Wellen und Wandern im Watt
Wer Urlaub auf Föhr machen will, muss dafür nicht unbedingt die Hauptsaison der Sommermonate nutzen. Ein Besuch lohnt sich auch im Winter
Ein heftiger Wind jagt dunkle Wolkenfetzen über die Insel, aus denen eiskalter Nieselregen fällt. Die Gräser gehen in Deckung, in den eisigen Pfützen spiegelt sich der graublaue Himmel. Das Watt glänzt feucht, erscheint geradezu mystisch und unendlich. Föhr im Winter. Eine Spurensuche.
Jetzt im Winter ist es wirklich still an den weiten, fast menschenleeren Stränden und der Dünenlandschaft auf Föhr. Nur das Geschrei der emporschwebenden und herabstürzenden Möwen ist zu hören. Obwohl das Wetter alles andere als einladend ist, spazieren einige Pärchen, Familien mit Hund und kleine Gruppen von der Inselhauptstadt Wyk am Strand nach Nieblum. Diese Urlauberreisen nicht trotz, sondern wegen des Wetters in den Wintermonaten auf diese Nordseeinsel im Wattenmeer zwischen Sylt, Amrum und Dagebüll.
Die ländliche, von diesem Wattenmeer umgebene Insel, gerade mal 82 Quadratkilometer groß, bedient in diesen Tagen die Sehnsucht nach Ruhe und Natur der Urlauber. Schon während der Minikreuzfahrt mit der Fähre von Dagebüll nach Wyk können sie sich gut auf ihren Aufenthalt auf der zweitgrößten Nordseeinsel Deutschlands einstimmen. Rund 50 Minuten dauert die Überfahrt durch die weltweit einmalige Naturkulisse des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Dann legt die Fähre im Hafen von Wyk auf Föhr an und Einheimische und Besucher gehen von Bord.
Gleich am Hafen zeigt der Flutmarkenpfahl, wie gefährlich hoch das Wasser hier steigen kann – für 1825 sind zum Beispiel 4,67 Meter über Normalnull markiert. Heute schützen das Stöpentor und Betonmauern das historische Stadtzentrum und die Strandpromenade vor den Fluten. Der Sandwall ist das wohl feinste Stück von Wyk – auf der einen Seite laden schöne Geschäfte zum Einkaufen und Restaurants und Cafés zur Einkehr ein, auf der anderen Seite präsentiert sich der feinsandige Strand und am Horizont erscheinen wie Scherenschnitte die Halligen.
„Lauft einfach bis Wyk und geht dann am Sandwall immer am Meer entlang in Richtung Nieblum“, empfiehlt Gastgeber Brar Roeloffs vom Rackmers Hof. „Verlaufen könnt ihr euch nicht, und unterwegs wärmt ihr euch in einem Café auf.“Die Promenade wird von urigen Friesenhäusern gesäumt, aber auch einige weniger schöne Betonbauten von architektonischer Beliebigkeit aus den 1960er und 1970er Jahren sind zu sehen. Ein frischer Wind weht direkt ins Gesicht. Mit seinem Jod- und Salzgehalt wirkt er wie ein Frischluftpeeling auf der Haut. Richtig gut tut auch die klare und staubfreie Luft.
Die meisten Urlauber sind perfekt mit Funktionskleidung ausgestattet, doch die Kälte ist trotzdem zu spüren. Da kommt die neue Sydbar am Südstrand gerade recht. Drinnen ist es gemütlich warm. Ein Heißgetränk zum Wärmen von Herz, Händen und Seele ist jetzt genau das Richtige. Doch welches? Klar, Kaffee und Tee stehen auf der Karte und auch ein Grog wird angeboten. „Probieren Sie doch mal
ein typisches nordfriesisches Getränk, einen Pharisäer zum Beispiel“, schlägt der Kellner vor. „Da kommt ein ordentlicher Schuss Rum auf das Stück Würfelzucker in der Tasse. Erst dann wird der frisch gebrühte Kaffee aufgegossen und zum Schluss gibt’s obendrauf noch einen Klecks Schlagsahne. Fertig ist das Getränk. Denkt aber daran – ein Pharisäer wird nicht mit dem Löffel umgerührt, ihr müsst ihn durch die Sahnehaube trinken. Wer keinen Kaffee mag, nimmt Kakao. Dann heißt das Getränk „Tote Tante“, informiert der Kellner.
Bis Nieblum ist es nun nicht mehr so weit. Vom Strand sind es lediglich zehn Gehminuten bis zum schmucken Dorfkern, der mit seinen zahlreichen reetgedeckten Häusern hinter weißen Lattenzäunen schöne Fotomotive bietet. Überragt wird der kleine Ort von der mächtigen St. Johannis-Kirche. Auf dem angrenzenden Friedhof geben über 200 „sprechende“Grabsteine Auskunft über das bewegte Leben der Föhringer Seeleute, die oft als Walfänger und Kapitäne unterwegs waren. Auf vielen Grabsteinen kann man die Lebensgeschichten der Verstorbenen lesen.
„Auch das Grab von Peter Lütjens befindet sich dort“, erklärt Brar Roeloff. „Er ist mein Urururgroßvater. Mit dem Fang von Robben und Walen hat er viel Geld gemacht und 1840 hier in Oevenum dieses Kapitänshaus gebaut“. Heute ist das Anwesen eine gelungene Mischung aus Hotel und Ferienapartments mit viel Friesencharme.
Die Wintermonate sind auch für Danila und Rene Dittrich die schönsten im Jahr. Der aus dem Erzgebirge stammende Spitzenkoch und seine Frau betreiben seit vielen Jahren erfolgreich das Restaurant „Alt Wyk“in Föhr.
„Die Wintermonate sind für uns ein Ausgleich zum hektischen Sommer – und für die Gäste, die jetzt zu uns ins Restaurant kommen, eine perfekte Gelegenheit zum Entschleunigen“, sagt Dittrich und bekräftigt: „Es macht uns richtig Spaß, ausgedehnte Wanderungen zu unternehmen. Es gibt auch schon mal Schnee und richtig kalte Winter, wo sich am Strand die Eisschollen eindrucksvoll übereinanderschieben. Wir sind gern auf der Insel und vermissen nichts.“