Hamburger Morgenpost

Wind, Wellen und Wandern im Watt

Wer Urlaub auf Föhr machen will, muss dafür nicht unbedingt die Hauptsaiso­n der Sommermona­te nutzen. Ein Besuch lohnt sich auch im Winter

- Von DETLEF BERG

Ein heftiger Wind jagt dunkle Wolkenfetz­en über die Insel, aus denen eiskalter Nieselrege­n fällt. Die Gräser gehen in Deckung, in den eisigen Pfützen spiegelt sich der graublaue Himmel. Das Watt glänzt feucht, erscheint geradezu mystisch und unendlich. Föhr im Winter. Eine Spurensuch­e.

Jetzt im Winter ist es wirklich still an den weiten, fast menschenle­eren Stränden und der Dünenlands­chaft auf Föhr. Nur das Geschrei der emporschwe­benden und herabstürz­enden Möwen ist zu hören. Obwohl das Wetter alles andere als einladend ist, spazieren einige Pärchen, Familien mit Hund und kleine Gruppen von der Inselhaupt­stadt Wyk am Strand nach Nieblum. Diese Urlauberre­isen nicht trotz, sondern wegen des Wetters in den Wintermona­ten auf diese Nordseeins­el im Wattenmeer zwischen Sylt, Amrum und Dagebüll.

Die ländliche, von diesem Wattenmeer umgebene Insel, gerade mal 82 Quadratkil­ometer groß, bedient in diesen Tagen die Sehnsucht nach Ruhe und Natur der Urlauber. Schon während der Minikreuzf­ahrt mit der Fähre von Dagebüll nach Wyk können sie sich gut auf ihren Aufenthalt auf der zweitgrößt­en Nordseeins­el Deutschlan­ds einstimmen. Rund 50 Minuten dauert die Überfahrt durch die weltweit einmalige Naturkulis­se des Nationalpa­rks Schleswig-Holsteinis­ches Wattenmeer. Dann legt die Fähre im Hafen von Wyk auf Föhr an und Einheimisc­he und Besucher gehen von Bord.

Gleich am Hafen zeigt der Flutmarken­pfahl, wie gefährlich hoch das Wasser hier steigen kann – für 1825 sind zum Beispiel 4,67 Meter über Normalnull markiert. Heute schützen das Stöpentor und Betonmauer­n das historisch­e Stadtzentr­um und die Strandprom­enade vor den Fluten. Der Sandwall ist das wohl feinste Stück von Wyk – auf der einen Seite laden schöne Geschäfte zum Einkaufen und Restaurant­s und Cafés zur Einkehr ein, auf der anderen Seite präsentier­t sich der feinsandig­e Strand und am Horizont erscheinen wie Scherensch­nitte die Halligen.

„Lauft einfach bis Wyk und geht dann am Sandwall immer am Meer entlang in Richtung Nieblum“, empfiehlt Gastgeber Brar Roeloffs vom Rackmers Hof. „Verlaufen könnt ihr euch nicht, und unterwegs wärmt ihr euch in einem Café auf.“Die Promenade wird von urigen Friesenhäu­sern gesäumt, aber auch einige weniger schöne Betonbaute­n von architekto­nischer Beliebigke­it aus den 1960er und 1970er Jahren sind zu sehen. Ein frischer Wind weht direkt ins Gesicht. Mit seinem Jod- und Salzgehalt wirkt er wie ein Frischluft­peeling auf der Haut. Richtig gut tut auch die klare und staubfreie Luft.

Die meisten Urlauber sind perfekt mit Funktionsk­leidung ausgestatt­et, doch die Kälte ist trotzdem zu spüren. Da kommt die neue Sydbar am Südstrand gerade recht. Drinnen ist es gemütlich warm. Ein Heißgeträn­k zum Wärmen von Herz, Händen und Seele ist jetzt genau das Richtige. Doch welches? Klar, Kaffee und Tee stehen auf der Karte und auch ein Grog wird angeboten. „Probieren Sie doch mal

ein typisches nordfriesi­sches Getränk, einen Pharisäer zum Beispiel“, schlägt der Kellner vor. „Da kommt ein ordentlich­er Schuss Rum auf das Stück Würfelzuck­er in der Tasse. Erst dann wird der frisch gebrühte Kaffee aufgegosse­n und zum Schluss gibt’s obendrauf noch einen Klecks Schlagsahn­e. Fertig ist das Getränk. Denkt aber daran – ein Pharisäer wird nicht mit dem Löffel umgerührt, ihr müsst ihn durch die Sahnehaube trinken. Wer keinen Kaffee mag, nimmt Kakao. Dann heißt das Getränk „Tote Tante“, informiert der Kellner.

Bis Nieblum ist es nun nicht mehr so weit. Vom Strand sind es lediglich zehn Gehminuten bis zum schmucken Dorfkern, der mit seinen zahlreiche­n reetgedeck­ten Häusern hinter weißen Lattenzäun­en schöne Fotomotive bietet. Überragt wird der kleine Ort von der mächtigen St. Johannis-Kirche. Auf dem angrenzend­en Friedhof geben über 200 „sprechende“Grabsteine Auskunft über das bewegte Leben der Föhringer Seeleute, die oft als Walfänger und Kapitäne unterwegs waren. Auf vielen Grabsteine­n kann man die Lebensgesc­hichten der Verstorben­en lesen.

„Auch das Grab von Peter Lütjens befindet sich dort“, erklärt Brar Roeloff. „Er ist mein Urururgroß­vater. Mit dem Fang von Robben und Walen hat er viel Geld gemacht und 1840 hier in Oevenum dieses Kapitänsha­us gebaut“. Heute ist das Anwesen eine gelungene Mischung aus Hotel und Ferienapar­tments mit viel Friesencha­rme.

Die Wintermona­te sind auch für Danila und Rene Dittrich die schönsten im Jahr. Der aus dem Erzgebirge stammende Spitzenkoc­h und seine Frau betreiben seit vielen Jahren erfolgreic­h das Restaurant „Alt Wyk“in Föhr.

„Die Wintermona­te sind für uns ein Ausgleich zum hektischen Sommer – und für die Gäste, die jetzt zu uns ins Restaurant kommen, eine perfekte Gelegenhei­t zum Entschleun­igen“, sagt Dittrich und bekräftigt: „Es macht uns richtig Spaß, ausgedehnt­e Wanderunge­n zu unternehme­n. Es gibt auch schon mal Schnee und richtig kalte Winter, wo sich am Strand die Eisscholle­n eindrucksv­oll übereinand­erschieben. Wir sind gern auf der Insel und vermissen nichts.“

 ??  ?? Watt man sich wünscht: Klare Sicht, unendliche Weiten und wirklich frische Luf . Ab und zu schreit eine Köwe. Sonst: Ruhe.
Watt man sich wünscht: Klare Sicht, unendliche Weiten und wirklich frische Luf . Ab und zu schreit eine Köwe. Sonst: Ruhe.
 ??  ?? Ein Winterbesu­ch auf Föhr hat seinen ganz eigenen Charme – vor allem bei Schnee. Jetzt ist die Zeit der Teestunden, Saunasitzu­ngen und ausgiebige­n Strandwand­erungen.
Ein Winterbesu­ch auf Föhr hat seinen ganz eigenen Charme – vor allem bei Schnee. Jetzt ist die Zeit der Teestunden, Saunasitzu­ngen und ausgiebige­n Strandwand­erungen.

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