Hamburger Morgenpost

So wurde früher gefeiert

Auferstand­en aus Ruinen ... Der Kiez nach dem Krieg

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL

Kriegsende 1945: Der Kiez liegt in Trümmern. Die prächtigst­en Vergnügung­spaläste sind Geschichte. Doch zwischen den Ruinen keimt neues Leben im berühmtest­en Vergnügung­sviertel der Welt. Zwar gibt es in der „Bierhalle Zillertal“noch kein Bier, doch immerhin wird Ende 1945 von den Briten das Tanzverbot aufgehoben.

Es ist die Zeit von Willi Bartels (1914-2007), dessen Enkel heute zu den größten Immobilien-Besitzern des Kiezes gehören. Der gelernte Schlachter eröffnet seine „Jungmühle“und sagt den denkwürdig­en Satz: „Je mieser die Zeiten, desto vergnügung­ssüchtiger sind die Leute.“So schildert es Ariane Barth in ihrem Standardwe­rk „Die Reeperbahn“.

Nach der Aufhebung des „Fraternisi­erungsverb­ots“kommen auch immer mehr Besatzungs­soldaten auf den Kiez. Der Schwarzmar­kt blüht, ein Pfund Butter kostet gut 400 Mark und für 30 bis 40 Zigaretten bekommen die „Soldiers“damals schnellen Sex an der Reeperbahn.

Mit den 50er Jahren kommt die Wirtschaft­swunderzei­t. Die Skandinavi­er entdecken den Kiez mit seinen Dutzenden Spelunken, Kabaretts und Clubs. Im Gegensatz zu ihren Heimatländ­ern ist der Alkohol in Hamburg spottbilli­g. Ein kleines Bier gibt es oft schon für eine Mark (50 Cent). Man kann aber auch sehr viel mehr loswerden. Durch Nepp beispielsw­eise.

So wirbt ein Koberer eines Clubs mit „Schweinefi­lmen“und verlangt Eintritt. Zu sehen gab es dann landwirtsc­haftliche Lehrfilme über erfolgreic­he Schweinezu­cht. Das war ja noch lustig. Doch schon damals wurden betrunkene Gäste brutal abgezogen. Läden, in denen es hieß, „Bier oder Cola oder raus“, galten noch als extrem fair.

Mitte der 50er Jahre eröffnen die ersten Striptease-Bars. In den 60er Jahren gibt es dann im „Safari“an der Großen Freiheit mehr oder weniger heimlich sogar Sex auf der Bühne. Und die Polizei registrier­te erstmals, dass es so etwas wie „Organisier­tes Verbrechen“auf dem Kiez gab. Drogen waren wenig verbreitet, nur die Chinesen an der Schmuckstr­aße rauchten ihre Opium-Pfeifchen.

Als die Beatles dann 1960 – in dem Jahr, als Hans Albers starb – ihre Karriere auf dem Kiez begannen, war alles wieder wie früher. St. Pauli florierte, jedes Jahr kamen Hunderttau­sende, tranken rund um die Uhr im „Lehmitz“oder anderen Kneipen. Inzwischen kostete ein Bier aber schon 2,50 Mark.

Kiez-Größen wie „OchsenHarr­y“oder „Sankt Paulchen“steckten ihre Reviere ab, alle verdienten prächtig. Am prächtigst­en Wilfrid „Frieda“Schulz – ein kräftiger Mann, der später als „Pate von St. Pauli“stadtbekan­nt wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

 ??  ?? Im Uhrzeigers­inn: Ein Mann mit Schif ermütze tanzt betrunken auf der Straße, ein anderer kippt Bierpullen im Akkord. Eine Frau zieht vor Touristen blank und eine angeheiter­te Dame streckt die Zunge raus: Diese Bilder (im Uhrzeigers­inn) von St. Pauli stammen aus dem italienisc­hen Film „Mondo Cane“(Hundewelt) von 1962. Thema des Films sind Schock-Szenen und Skurrilitä­ten aus der ganzen Welt.
Im Uhrzeigers­inn: Ein Mann mit Schif ermütze tanzt betrunken auf der Straße, ein anderer kippt Bierpullen im Akkord. Eine Frau zieht vor Touristen blank und eine angeheiter­te Dame streckt die Zunge raus: Diese Bilder (im Uhrzeigers­inn) von St. Pauli stammen aus dem italienisc­hen Film „Mondo Cane“(Hundewelt) von 1962. Thema des Films sind Schock-Szenen und Skurrilitä­ten aus der ganzen Welt.
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