„Ich habe beschlossen, 120 Jahre alt zu werden“
Wie Musik André Rieu glücklich macht und wie sie ihn jung hält
Jährlich eine Million Konzertbesucher, 40 Millionen verkaufte Tonträger, 600 Platin- und Gold-Auszeichnungen: André Rieu ist der erfolgreichste Violinist der Welt. Jetzt hat der 69-jährige Niederländer ein neues Album herausgebracht („Romantic Moments II“). Und er ist wieder auf Tour, am 24. Januar gastiert er in der Mercedes-Benz Arena in Berlin. Mit seiner Stradivari von 1732 spielt er die schönsten Walzer seines Idols Johann Strauss, begleitet von einem 50-köpf gen Orchester.
MOPO am Sonntag: Herr Rieu, kürzlich verstarb Ihr Lehrer Herman Krebbers. Er bildete viele namhaf e Geiger aus. Was haben Sie speziell von ihm gelernt?
André Rieu: Herman Krebbers war ein großartiger Violinist, ein sehr freundlicher Mensch und hochtalentiert. Er brachte mir die Freude am Violinenspiel bei. Wenn man selbst diese Freude fühlt, kann man diese Gefühle auch dem Publikum zeigen. Krebbers war mein größtes Vorbild. Ich wollte immer sein wie er.
Herman Krebbers wurde 95 Jahre alt. Ist die Musik auch Ihr Jungbrunnen?
Absolut! Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Musik glücklich macht. Sowohl miteinander zu musizieren als auch Musik zu hören. Eines meiner Lieblingsbücher ist „Singing in the Brain“vom niederländischen Wissenschaftler Erik Scherder. Darin geht es um die Zusammenwirkung von Musik und Gehirn. Echt faszinierend! Was glücklich macht, hält aktiv, und Aktivität hält jung. Man hört nie auf, Künstler zu sein. Man kann bis ins ganz hohe Alter musizieren, malen, schreiben. Und ich habe beschlossen, mindestens 120 Jahre alt zu werden.
Üben Sie heute noch genauso viel wie in Ihrer Kindheit und Jugend?
Nein. In meiner Kindheit und Jugend gab es eigentlich nur eins: lernen, lernen, lernen. Meine gesamte Jugend verbrachte ich zwischen Schule und Geigenstunde. Dazu hatte ich Klavier-, Oboen- und Flötenunterricht. Ich habe dann zunächst in Maastricht und Lüttich studiert und später in Brüssel. In Deutschland habe ich den berühmten ungarischen Geigenpädagogen André Gertler kennengelernt und wurde nach einer strengen Auswahlprüfung in seine Klasse aufgenommen. Er war ein ganz besonderer
Mensch und ein ausge-
„In meiner Kindheit gab es nur lernen, lernen ...“
zeichneter
Lehrer, und hat mich – wie Herman Krebbers – sehr geprägt. Natürlich übe ich auch heute noch, aber nicht mehr so viel wie damals. Ich spiele die Geige jetzt seit 64 Jahren, und mit rund 90 Konzerten pro Jahr kommt man nicht so schnell aus der Übung!
Haben Sie einen Tipp, wie Eltern ihre Kinder für den Instrumentalun-
terricht begeistern können?
Zum einen hilft es, wenn die Musik zu Hause eine positive Rolle spielt, und der Unterricht sollte vor allem Freude machen. Ich denke, es ist wichtig, auf sein Kind zu hören. Welches Instrument möchte es gerne lernen? Welches macht ihm Spaß? Bei mir war das immer die Geige. Ich konnte als Kind mit Klavier überhaupt nichts anfangen. Und dann braucht man einen guten Lehrer beziehungsweise eine gute Lehrerin. Wenn man sich dann noch in den Lehrer verliebt, hilft das ungemein, ha, ha! Dann übt man besonders viel. Meine erste Geigenlehrerin war eine 18-jährige Blondine, ich war als kleiner Junge total fasziniert von ihr.
Ist Ihnen als Sohn eines Dirigenten das Üben leicht gefallen?
In meiner Kindheit war Musik vor allem Arbeit. Mein Vater war Dirigent und sehr streng. Alle meine Brüder und Schwestern haben meh- rere Instrumente gelernt. Ich dachte einfach, das wäre überall so. Ich habe meine Mitschüler gefragt, welche Geige sie spielen. Meine Frau und ich haben unsere Söhne dann offener erzogen, ohne Zwang. Irgendwann hat Pierre seine Geige auf dem Kopf von Marc zerhauen, das war es dann mit dem Musikunterricht.
Was haben Sie sich für die Deutschland-Österreich-SchweizTournee 2019 vorgenommen?
Es ist Tradition, dass diese Konzerte im Januar, Februar und jetzt auch im Mai stattfinden. Wir beginnen
in Deutschland jedes Jahr unsere neue Welttournee. Es wird ein völlig neues Programm, natürlich mit den schönsten Walzern, Musik aus Musical, Oper und Operette sowie bekannten Schlagern. Das Schöne ist, mein Publikum weiß vorher nie, was wir spielen werden. Aber sie wissen, wir haben einen Abend zusammen, den wir nie vergessen werden. Meine Konzerte enden immer in einer großen Party. Humor ist mir ganz wichtig!
Nach welchen Kriterien stellen Sie Ihr Programm zusammen?
Viele dieser wunderbaren Stücke wie zum Beispiel „Ballade Pour Adeline“, „Amazing Grace“, „An der schönen blauen Donau“oder Stücke aus Musicals sind in Konzerten anderer Orchester nur sehr selten live zu hören. Dabei lieben die Menschen sie! Zu denken, dass ein weltbekanntes Stück automatisch auch oft aufgeführt wird, ist ein Irrglaube. Ich spiele ja nicht nur Walzer, sondern ab und zu auch romantische Popsongs oder
Balladen. Die mal mit Orchester zu hören, ist schon sehr schön!
Wann haben Sie das letzte tal ein Konzert erlebt, das ganz besonders glückhaf war?
Es ist immer das letzte Konzert. Buenos Aires im Oktober war fantastisch. Ich bin sicher, Australien wird das auch sein, und auf Großbritannien und Deutschland freue ich mich besonders. Wir brauchen nach dem Konzert selbst eine Weile, um wieder „runterzukommen“. Ich bekomme Briefe von Fans, die sagen, sie waren nach einem Konzert zwei Wochen richtig „high“.
Waren Sie nach einem Konzert auch schon mal unzufrieden mit sich, dass Sie es im Nachhinein lieber nicht gegeben hätten?
Ha, ha, nein. Aber ich bin vor jedem Konzert schrecklich nervös.
Wie anstrengend ist das Spielen körperlich?
Ein dreistündiges Konzert zu geben ist natürlich anstrengend. Denn ich spiele ja nicht nur, sondern dirigiere auch und moderiere. Ich führe durch den Abend. Aber – und das ist der Grund, warum ich immer mein eigenes Orchester haben wollte – ich kann mein Programm selbst gestalten. Die Stücke, die ich wähle, geben mir und dem Publikum viel Energie. Ich fände es persönlich schrecklich, in einem Sinfonieorchester sitzen zu müssen und Tag für Tag Musik zu spielen, die ich nicht selbst auswählen kann und die ich vielleicht gar nicht mag. Am Anfang meiner Karriere als Musiker war ich einige Jahre in einem Sinfonieorchester. Ich habe mich dort wirklich allein gefühlt. Wenn man die Freude an seiner Tätigkeit verliert, wird alles anstrengend. Ich aber arbeite nicht, ich habe Spaß!
Welchen Traum möchten Sie sich unbedingt noch erfüllen?
Ich würde wahnsinnig gerne einmal auf dem Mond spielen!
DAS INTERVIEW FÜHRTE
OLAF NEUtANN