Woher kommt diese Klima-Wut?
Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir versteht nicht, warum Debatten über Klimaschutz so ideologisch überladen sind
BERLIN - Cem Özdemir, einst Bundeschef der Grünen, ist jetzt Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses. Im Streit um die Proteste von Autofahrern, zuletzt mehrfach in seiner Heimatstadt Stuttgart, nimmt er unter anderem die schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg in Schutz.
Herr Özdemir, das Auto und das Drumherum werden immer mehr zum ideologisch aufgeladenen Streitthema – siehe Tempolimit. Wie erklären Sie sich das?
Özdemir: Wenn es ums Auto geht, ist die Debatte in Deutschland schnell emotional geführt, da sind alle mit Leidenschaft dabei. Nehmen Sie das Tempolimit: Da reagieren ja einige in Deutschland geradezu so, als wenn wir für Männer eine Art amtlich verfügte Potenzminderung durchzusetzen wollten. Dabei müssen wir jetzt endlich mal breit über Verkehrspolitik streiten.
Teil der Auseinandersetzung sind auch Angriffe auf die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, die jetzt sogar von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak verspottet wurde. Können Sie Angriffe auf eine 16-Jährige nachvollziehen?
Dass manche nicht mal davor zurückschrecken, ihr politisches Theater auf dem Rücken einer Schülerin auszutragen, spricht Bände. Fakt ist doch: Wenn wir es nicht schaffen, die Klimakrise zu stoppen, werden unsere Kinder und Kindeskinder die Konsequenzen tragen. Dass die Klimakrise junge Leute auf die Straße treibt, ist doch absolut nachvollziehbar. Es geht um deren Zukunft!
Der Vorwurf lautet aber, dass die Nöte der kleinen Leute nicht ernst genommen würden. Ist da nicht was dran?
Nehmen wir den Abgasskandal, da sind wir im vierten Jahr, und trotzdem müssen Gerichte über Fahrverbote entscheiden, weil der CSUVerkehrsminister lieber gemeinsame Sache gemacht hat mit den Autobossen. Den Zorn der Dieselbesitzer kann ich gut ver-
stehen: Stellen Sie sich vor, Sie haben sich ein Auto gekauft, das nicht hält, was vom Hersteller versprochen wurde. Jetzt drohen Ihnen Fahrverbote und Wertverlust. Und statt für Nachrüstungen auf Herstellerkosten zu sorgen, lässt der zuständige Minister sein Kraftfahrt-Bundesamt Ihnen schreiben, Sie sollen sich am besten ein neues Auto kaufen, obwohl nicht einmal das alte abbezahlt ist.
Was kann man gegen die Wut der Autofahrer tun?
Was nicht geht, ist der Versuch, den nur allzu verständlichen Ärger der betroffenen Dieselfahrer umzulenken auf diejenigen, die auf saubere Luft angewiesen sind. Die Grenzwerte gelten nun schon seit neun Jahren, sind also keine Überraschung, auch nicht für Andreas Scheuer und Christian Lindner. Darum ist es unerträglich, dass einige in deren Parteien nun dem Populismus verfallen und fordern, mal eben das Recht auf saubere Luft aufzuheben, statt die Gesetze durchzusetzen.