Reicht die SPD bald die Scheidung ein?
LINKSRUCK Der Großen Koalition drohen turbulente Zeiten. Drei Sollbruchstellen
Die SPD bereitet die GroKo-Trennung längst vor und hat bewusst mehrere Konfliktfelder eröffnet. Prof. Heinrich Oberreuter, Politikwissenschaftler
BERLIN - Die SPD will beim Wahlvolk endlich wieder punkten. Doch mit ihrem Schwenk nach links provozieren die Genossen CDU und CSU, die sich ebenfalls in Stellung bringen. An mehreren Streitpunkten könnte das Bündnis scheitern. Gibt es einen geheimen Plan, die GroKo zu beenden?
Mit dem jetzt zu Ende gegangenen CDU-„Werkstattgespräch“zu Migration und Integration will Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer das Thema befrieden, das die Union wie kein zweites gespalten hat. Es gehörte zu AKKs Versprechen im CDU-internen Wahlkampf gegen Friedrich Merz, die Partei wieder zu versöhnen. Nicht ganz ohne Eigennutz – denn auch die 56-Jährige weiß: Nur vereint lassen sich Wahlkämpfe gewinnen.
Und die Unlust, diese GroKo weiterzuführen, wird immer greifbarer. Vor kurzem hatte AKK erklärt, auch sie wolle – wie die SPD – die „Revisionsklausel“im Koalitionsvertrag nutzen. Diese ermöglicht es den Parteien, Bilanz über das Erreichte zu ziehen und gegebenenfalls die Koalition zu beenden. In der SPD reichen die Stimmen, die den GroKo-Ausstieg lieber heute als morgen hätten, von JusoChef Kevin Kühnert bis zu Sigmar Gabriel.
Anlässe für einen Koalitionsbruch wären nach der Europawahl oder den drei Landtagswahlen im Osten bei miesen Ergebnissen für die Koalitionäre wohl schnell gefunden:
Die Steuerfrage: Die Union pocht wegen einer schwächelnden Konjunktur auf Steuervergünstigungen für Unternehmen. Zudem will sie den Soli bis 2021 nicht nur für untere und mittlere Einkommen abschaffen, sondern auch für höhere. Die SPD lehnt vor allem Letzteres strikt ab.
Die Sozialfrage: Bürgergeld statt Hartz IV, weniger Sanktionen, die Kindergrundsicherung und länger Bezug von Arbeitslosengeld. Ein Aufschnüren von Hartz IV, wie es die SPD nun beschlossen hat, ist mit der Union nicht zu machen. Ebenso wie der Mindestlohn von 14 Euro und die Grundrente von Arbeitsminister
Hubertus Heil (SPD) – zumindest ohne Bedürftigkeitsprüfung.
Die Putschfrage: Andrea Nahles ist mit etwa zehn Monaten zwar die am längsten amtierende Parteivorsitzende der GroKo-Parteien, allerdings auch diejenige, die am wenigsten fest im Sattel sitzt. Kommt es bis Jahresende zu einem Putsch gegen die Chefin oder den intern ebenfalls umstrittenen VizeKanzler Olaf Scholz, stellt sich die Koalitionsfrage.
Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter ist sich sicher: „Die SPD bereitet die GroKo-Trennung längst vor. Sie hat bewusst mehrere Konfliktfelder eröffnet, an Kanzlerin und Koalitionspartner vorbei.“Wenn es sich nicht um eine bewusste „Scheidung“handle, so werde die Möglichkeit einer Trennung in Kauf genommen, ergänzte sein Kollege Jürgen Falter in „Bild“.
Morgen trifft sich der Koalitionsausschuss erstmals in diesem Jahr. Es könnte ein weiterer Schritt hin zu einem großen Knall sein.