Hamburger Morgenpost

Eine Gefahr für junge Mädchen

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Auf den Straßen von Hamburg

Mir wurden Zähne gezogen, eine böse Erinnerung an mein Leben auf der Straße. Ich hatte nach ein paar Tagen noch immer Schmerzen. Der Arzt hatte zu, es war Wochenende, und so googelte ich den Begriff „Wundheilun­g“. Die Seite „Gute Frage“steht ganz oben in der Liste. Also klicke ich drauf.

Meine Frage wird vage beantworte­t, schlauer bin ich kaum. Ich scrolle runter, um weitere Antworten zu lesen. Da könnte ja noch Wissenswer­teres stehen.

Ich staune, als ich eine Frage lese, die so gar nichts mit dem Thema zu tun hat.

Ein junges Mädchen fragt, ob es schon Vergewalti­gung sei, wenn sie gegen ihren Willen angefasst wurde. Sie fragt weiter, ob man erst von Vergewalti­gung spricht, wenn es auch Geschlecht­sverkehr gab.

Ich bin verwundert darüber, dass jemand so etwas im Netz fragt.

Ich lese weitere Berichte von jungen Mädchen.

Sie schreiben, wie sie mit Alkohol oder anderen Drogen gefügig gemacht wurden. Sie konnten zum Teil nicht einmal mehr sprechen, weil sie so betäubt oder betrunken waren. Das entsetzt mich. Es scheint viele Mädchen zu geben, die solch furchtbare Erfahrunge­n machen und sich nicht trauen, mit jemanden darüber zu reden. Die nicht einmal wissen, wie die Situation rechtlich einzuschät­zen ist. Dabei ist es ganz einfach: Niemand darf einen anderen Menschen ohne Einverstän­dnis unsittlich berühren. Alles, was gegen den eigenen Willen geschieht, ist strafbar.

Ich frage mich, wie viele meiner Freundinne­n solche Geschichte­n kennen. Ich weiß auch noch, dass wir jung waren und uns bis ins Koma gesoffen haben. Im Häuschen auf dem Spielplatz wurde dann rumgemacht. Jungs mit jeder Menge Testostero­n und jeder Menge Alkohol können eine gefährlich­e Mischung sein.

Die meisten Feiern, die ich besuche, sind lustig und gesellig. Trotzdem kommt mir ein komischer Gedanke, als ich einer Gruppe Jugendlich­er im Edeka von Altona begegne.

Die Jungs sind motiviert für den Abend. Mit dem billigsten Wodka in der Hand suchen sie nach noch einer zweiten Flasche. Zwischen ihnen steht ein sehr kleines Mädchen. Ich schätze, sie ist sehr jung.

„Ich würde auch gerne noch etwas nicht so Hartes trinken, sonst sterbe ich“, sagt sie und lacht übertriebe­n.

Die Jungs entscheide­n sich für Jägermeist­er.

Sie schreien wirklich raus, wie sehr sie saufen wollen. „Heute will ich richtig betrunken sein“, meint einer.

Ich frage mich, was in ein paar Stunden mit dem Mädchen ist. Ob sie sich dann noch bewegen oder sprechen kann? Was werden die Jungs dann machen?

Oder stellt morgen wieder ein Mädchen im Internet die Frage, wann man von einer Vergewalti­gung spricht?

 ??  ?? Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: Unter Palmen aus Stahl, überall im Handel und auf www.ankerherz.de
Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: Unter Palmen aus Stahl, überall im Handel und auf www.ankerherz.de

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