Hamburger Morgenpost

Hamburger, schaut nach Wien!

Wie man das drängende Problem des bezahlbare­n W hnraums lösen kann, zeigt die Hauptstadt Österreich­s

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Der Autor

WOLFGANG FÖRSTER (65) ist ein internatio­nal tätiger Wohnbauexp­erte und Autor des Buchs „Das Wiener Modell 2/ The Vienna Model 2“( Jovis Verlag, Berlin, 2018).

40 Prozent der Hamburger haben ein Anrecht auf eine Sozialwohn­ung. Die Schwierigk­eit: Es gibt nur 78 000 davon, gebraucht werden aber insgesamt 368 000! „Das Problem wird ernst genommen“, heißt es allerorten. Zählbares entsteht dabei aber kaum. Wenn Hamburg seine Baustelle „Bezahlbare­r Wohnraum“wirklich lösen will, muss die Stadt selbst bauen, statt vergeblich auf den Markt zu hoffen. Wie gerechter Wohnungsba­u funktionie­rt, lässt sich am Fall Wien erkennen.

Folgendes Beispiel: Alleinerzi­ehende Frau sucht moderne Zweizimmer­wohnung mit Balkon und Grünblick in U-Bahn-Nähe. Budget: 500 Euro. Unmöglich? Nicht in Wien. Die Kaiserstad­t verfolgt seit 100 Jahren eine erfolgreic­he Wohnungspo­litik, mit ihrem Zweidritte­l-Mix schafft sie, woran viele andere Städte scheitern: bezahlbare­n Wohnraum für jedermann. Zweidritte­l-Mix bedeutet, dass rund 66 Prozent aller neu gebauten Wohnungen als Sozialwohn­ungen gefördert werden. In Hamburg sind es mit 33 Prozent nur ein Drittel. Mitte der 80er Jahre gab es in Hamburg noch etwa 350000 Sozialwohn­ungen – und das bei rund 200 000 Einwohnern weniger als heute. Was ist also passiert? Ganz einfach: Die meisten geförderte­n Wohnungen in Hamburg haben nach 30 bis 40 Jahren ihre Bindung verloren, ihr Status als Sozialwohn­ung ist futsch. Anders ist das in Wien, dort ist die Losung: ein Mal Bindung – immer Bindung.

Die Wurzeln dafür liegen schon beinahe 100 Jahre zurück: 1930 war Österreich­s Sozialdemo­kratie (noch) revolution­är: „Der Kapitalism­us kann nicht von den Rathäusern aus beseitigt werden. Aber große Städte vermögen schon in der kapitalist­ischen Gesellscha­ft ein tüchtiges Stück sozialisti­scher Arbeit zu leisten“, sagte Stadtrat Robert Danneberg in „Das Neue Wien“. Unmittelba­r nach der Befreiung wurde im Jahr 1945 erneut festgelegt, dass Wien das Wohnen „nicht dem privaten Profitstre­ben überlassen“werde.

Heute wohnen 62 Prozent der Wiener Haushalte im geförderte­n Wohnungsba­u. Und natürlich sind die Mieten hier deutlich niedriger: Die maximale monatliche Bruttokalt­miete pro Quadratmet­er beträgt mit 7,50 Euro rund die Hälfte der privaten Miete. Zudem steckt Wien mit rund 600 Millionen Euro jährlich deutlich mehr Geld in bezahlbare­n Wohnraum als Hamburg (circa 150 Millionen). Heute ist die Wiener Sozialdemo­kratie zwar nicht mehr ganz so visionär wie 1930, dennoch sieht sie sich klar in der Tradition des Roten Wien. So wurde 2017 ein neues Gemeindeba­uprogramm gestartet und mit Jahresbegi­nn 2019 ein radikaler Eingriff in den Bodenmarkt umgesetzt.

Heißt das, dass es keine Probleme gibt? Natürlich nicht. Wien ist die am schnellste­n wachsende Hauptstadt Europas, was auch zu Engpässen am Bodenmarkt führt. Doch hier hat die Stadt vorgesorgt: Der stadteigen­e „Wohnfonds“kauft vorausscha­uend Grundstück­e in Entwicklun­gsgebieten dann an, wenn es die Preise erlauben.

Und seit Januar gibt es als zusätzlich­es Instrument die neue Vorschrift in der Bauordnung, wonach in dem Wohnbau gewidmeten Gebieten zwei Drittel der Nutzfläche geförderte­r Wohnbau sein müssen. Da für diesen im Fördergese­tz eine strikte Bodenpreis­grenze gilt, wird dies die Verkaufspr­eise drastisch – um etwa 90 Prozent – senken.

Während es weltweit genug Beispiele dafür gibt, dass der private Markt nicht in der Lage ist, die komplexer werdenden Probleme in urbanen Ballungsrä­umen – Migration, sozialräum­liche Segregatio­n, Diversität, Klimaschut­z… – zu lösen, zeigt das Modell Wien die Vorteile eines öffentlich­en Wohnungsba­us. Und das drückt sich in Umfragen durch Spitzenwer­te in der Lebensqual­ität aus.

Daher sollten wir unsere Städte auffordern, verstärkt selbst für Wohnungsba­u zu sorgen, statt vergeblich auf den Markt zu hoffen! Hamburg und Wien haben im Übrigen einige Gemeinsamk­eiten: Beide sind eigene Bundesländ­er, die Einwohnerz­ahl ist fast gleich hoch, in beiden Städten boomt die Wirtschaft. Nur ist Wien von der Fläche her bedeutend kleiner als Hamburg. Dennoch schafft man dort eine viel höhere Zahl an Baugenehmi­gungen durchzubri­ngen als in Hamburg, an dieser Stellschra­ube gibt es also Nachholbed­arf.

Und die Alleinerzi­ehende? Sie hat sich an das Wohnungsbe­ratungszen­trum gewandt, dort ein „Wohnticket“erhalten, mit dem sie mehrere Angebote erhält. Sie entscheide­t sich schließlic­h für eine 70-Quadratmet­er-Neubauwohn­ung in der am nördlichen Stadtrand gelegenen Seestadt, wo alles in Gehentfern­ung liegt: Kindergart­en, Schule und U-Bahn-Station. Der Mietvertra­g ist unbefriste­t; die Miete wird sich auch bei steigendem Einkommen nicht verändern. Und die Moral von der Geschicht’: Wien baut sozial, Hamburg nicht. Hier ist dringend ein Umdenken nötig. Der freie Markt, so zeigt sich, wird dem Wohnraumpr­oblem nicht gerecht. Das Budget für geförderte­n Bau aufzustock­en und die Bindung hochzuschr­auben wären wichtige Schritte in die richtige Richtung.

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 ??  ?? Seit etwA 100 JAhren ist die KAiserstAd­t Wien mit ihrem Wodell internAtio­nAles VorBild für den soziAlen WohnungsmA­rkt. Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Ham urg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de
Seit etwA 100 JAhren ist die KAiserstAd­t Wien mit ihrem Wodell internAtio­nAles VorBild für den soziAlen WohnungsmA­rkt. Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Ham urg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de
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SoziAler WohnungsBA­u in Wien – niCht immer sChön, dAfür ABer immer gAnz sChön günstig und dAmit ein VorBild für HAmBurg

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