Die deutschen Altlasten des IS
Tweet des US-Präsidenten setzt Bundesregierung unter Druck: Wie umgehen mit Europas Dschihadisten?
Der „Islamische Staat“in Syrien ist militärisch fast besiegt. Terrorismusexperten plädieren nun dafür, deutsche Kämpfer des IS, die sich in der Hand der Kurden in Nordostsyrien befinden, zurückzuholen. Donald Trump habe sich wohl im Ton vergriffen, als er europäische Länder dazu aufgefordert habe, ISKämpfer zurückzunehmen (wir berichteten), sagte Terrorismusexperte Peter R. Neumann vom King’s College in London dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). In der Sache habe Trump jedoch recht. Seit Längerem zeichnet sich ab, dass die kurdische Selbstverwaltung nach einem Abzug der US-Truppen zusammenbrechen werde. In diesem Fall kämen die Islamisten frei und würden zu Risikofaktoren. Die Bundesregierung habe in dieser Frage bisher eine abwartende Haltung gezeigt, so Neumann. Regierungsvertreter betonten zwar, dass diese Kämpfer als deutsche Staatsbürger ein Recht auf Rückkehr hätten, sie ließen aber keine besonderen Aktivitäten erkennen, um das Problem zu lösen.
„Es geht nicht darum, nett zu sein zu Terroristen; wir schulden ihnen nichts“, so Neumann. „Es geht darum, das Sicherheitsrisiko zu minimieren. Und das gelingt am besten, wenn man den Prozess aktiv gestaltet.“Im Übrigen müsse der Grundsatz gelten: „Wenn wir von anderen erwarten, dass sie ihre Staatsbürger zurücknehmen, dann müssen wir das auch tun – selbst wenn es nicht sonderlich populär ist.“
Andernorts habe man deshalb längst reagiert, so der Terrorismusexperte. Frankreich etwa wolle alle 130 Islamisten in einem Zug zurücknehmen. In den Niederlanden habe man die Beweisführung in Islamisten-Prozessen erleichtert, in Gefängnissen spezielle Plätze geschaffen und in neue Programme investiert, zum Beispiel für Kinder von Islamisten. „In Deutschland hat man
das etwas ver schlafen.“
Die Leiteri der Berliner Be ratungsstelle fü die Deradikalisierung von Islamisten „Hayat“, Claudia Dantschke, äußerte sich ähnlich. Es sei besser, einstige IS-Kämpfer hier ins Gefängnis zu stecken, als sie in Syrien oder der Türkei frei herumlaufen zu lassen. „Es bestünde dann auch die Chance, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren.“Dies werde nicht immer gelingen, räumte Dantschke ein. Sie sehe aber „keine andere Lösung“.
Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, zum RND: „Es wäre unverantwortlich, das einfach laufen zu lassen. Die Bundesreierung steht in er VerantworIS-Kämpfer ng, mit eutschem Pass der Strafhierzulande verfolgung zuzuführen.“
Derzeit befinde sich eine mittlere zweistellige Zahl deutscher Islamisten in kurdischem Gewahrsam in Nordostsyrien – plus eine noch etwas höhere Zahl von Frauen und Kindern, hieß es von der Bundesregierung. Nur gegen wenige gebe es Haftbefehle. Bei der Betreuung deutscher IS-Kämpfer in Syrien gibt es aber Probleme, weil keine diplomatischen Beziehungen bestehen. Auch existierten mit Syrien und Irak keine Auslieferungsabkommen. Wie viele IS-Kämpfer bisher gezielt zurückgeholt worden sind, ist nicht bekannt.