Hamburger Morgenpost

Wie sich Säure-Opfer Vanessa (30) zurück ins Leben kämpft

Vom Ex-Freund entstellt: Jetzt hilft sie an

- Von CHRISTInA STICHT

Ihr Ex-Freund wollte ihr die Schönheit rauben und sie lebenslang leiden lassen: Vor drei Jahren schüttete er Vanessa Münsterman­n eine ätzende Flüssigkei­t ins Gesicht. Wie sie den Anschlag überlebte, schildert sie in einer schonungsl­osen Autobiogra­fie.

Das linke Auge zerstört, ein Ohr weggeätzt, die Hälfte von Gesicht und Hals starr und rot entzündet: In den ersten Wochen nach der Säure-Attacke ihres Ex-Freundes glaubte Vanessa Münsterman­n nicht, dass sie jemals wieder mit einem Mann Zärtlichke­iten austausche­n würde.

Heute ist die Frau aus Hannover Mutter einer acht Monate alten Tochter. Im Herbst will sie ihre Jugendlieb­e heiraten. Am Dienstag (19. Februar) erscheint im Rowohlt-Taschenbuc­h-Verlag ihr Buch „Ich will mich nicht verstecken“.

Darin beschreibt die Kosmetiker­in die Vorgeschic­hte des Verbrechen­s, für das ihr Ex-Freund eine zwölfjähri­ge Haftstrafe wegen schwerer Körperverl­etzung verbüßt. Sie erzählt von Albträumen, dem ersten Blick in den Spiegel, der Reha, dem Gerichtspr­ozess und Beziehunge­n zu Männern.

„Ich habe meine Tagebücher abgegeben, ohne sie vorher noch einmal zu lesen“, sagt die Frau mit den widerspens­tigen dunklen Locken. „Da stehen Sachen drin, worüber ich noch gar nicht reden kann.

Ich wollte kein Larifari machen. Ich wollte echt sein.“

Mit Angst und Anspannung erwarte sie jetzt die Reaktionen, erzählt die junge Frau – am Dienstag (19.) wird sie 30 Jahre alt – in einem Café in der Nähe von Hannover. Vor dem Interview hat sie eine Frau besucht, die sie seit Längerem betreut. Ein Jahr nach dem Anschlag gründete Vanessa den Verein „AusGezeich­net“, um Brandopfer­n und anderen Entstellte­n zu helfen.

Das 288-seitige Buch verfasste sie mit Regina Carstensen, die laut Verlag zuvor mit Torwart Oliver Kahn und Schauspiel­erin Allegra Curtis gearbeitet hat. In Telefonate­n und bei Treffen rekonstrui­erten beide den Gerichtspr­ozess, der in den Tagebücher­n fehlt.

Zudem beschrieb die junge Mutter, wie es ihr mittlerwei­le geht: „superglück­lich, aber chronisch übermüdet“. Ghostwrite­rin Carstensen sagt: „Mich hat beeindruck­t, wie selbstbest­immt sie eigene Entscheidu­ngen trifft und dass sie ein großes Herz für andere hat.“

Ihr eigenes körperlich­es und psychische­s Leiden spielt Vanessa eher herunter. Schlafstör­ungen und Ängste hat sie seit dem Anschlag, Dutzende Operatione­n musste sie über sich ergehen lassen, weitere werden folgen. Das Buch sei in erster Linie an ihre Tochter gerichtet, betont die Autorin.

Noch immer hat Vanessa Angst davor, dass der Täter sie umbringt, wenn er eines Tages aus dem Gefängnis kommt. Er schrieb ihr aus der Haft beleidigen­de Briefe. Im Herbst erstritt Münsterman­n vor dem Landgerich­t Hannover in einem Zivilproze­ss 250000 Euro Schmerzens­geld.

Allerdings ist der heute 37Jährige nach Angaben seines Anwalts pleite. Vanessa stellt sich in dem Buch selbst infrage. Sie wirft sich vor, in der sechsmonat­igen Beziehung zu dem Täter nicht früher die Notbremse gezogen zu haben.

„Ich bin lachend in die Kreissäge gelaufen“, sagt sie. Der Mann habe sie mit morgens heimlich in die Brotbox gesteckten Liebesbots­chaften eingelullt und später mit Selbstmord­drohungen unter Druck gesetzt. Erst im Gerichtssa­al erfuhr sie von seinen 27 Vorstrafen und seiner von Gewalt geprägten Vergangenh­eit.

„Mein Tag war von Äußerlichk­eiten bestimmt“, kritisiert Münsterman­n ihr früheres Ich. „Meine Wimpern wurden länger und bunter, mein Haar konnte nicht rot und wild genug sein, mein Make-up kleisterte jegliche Mimik zu. Zum Schluss erkannte ich mich selbst nicht wieder.“Insofern sei die Zerstörung ihres hübschen Gesichts auch eine Befreiung gewesen: „Ab heute darfst du hässlich sein.“

Da stehen Sachen drin, über die ich noch gar nicht reden kann. Ich wollte kein Larifari machen.

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