Hamburger Morgenpost

Hält ein Leben lang

- STEPHANIE LAMPRECHT s.lamprecht@mopo.de

Sie kennen sich, seit sie mit Puppen gespielt haben, vier kleine Mädchen mit Zöpfen, die im Schatten der Kirche von St. Pauli aufwuchsen. Die während des Bombenhage­ls im Luftschutz­bunker unter dem Spielbuden­platz gegen ihre Angst ansangen und zusammen die Jungs foppten. Inzwischen sind Lore, Rosi, Ursel und Liselotte 81 Jahre alt und immer noch die besten Freundinne­n.

Alle paar Monate ist „Klassentre­ffen“: 1953 hat das Quartett die Realschule Seilerstra­ße verlassen. Insgesamt kommen noch sechs der damals 43 Mädchen der Klasse regelmäßig zusammen. Die vier fidelen Damen waren aber nicht nur Klassenkam­eradinnen, sondern auch Nachbarski­nder: „Wir sind alle in der Hamburger Hochstraße aufgewachs­en“, erzählt Lore Hempel – und dann fallen die vier einander ins Wort wie aufgeregte junge Mädchen: „Eine schnalzte auf der Straße und wir kamen alle runtergela­ufen.“„Wenn die Straßenbah­n kam, sind wir zur Seite gesprungen.“„Und beim Fischauto haben wir immer gerufen: ,Onkel, schmeiß mal ’n Fisch runter!‘“„Und weißt du noch, wenn deine Mutter die Badewanne holte und wir alle in der Unterbüx drum herum standen?“Großes Hallo.

„Und wie wir bei schlechtem Wetter auf dem Dachboden gespielt haben?“Alle fangen an zu prusten: „Wir mussten so dolle und haben auf die Kohlen gepiescher­t – und meine Oma sagte dann: ,Schön, dass ihr da Wasser draufgespr­itzt habt, dann staubt das nicht so!‘“

Sie gruselten sich gemeinsam vor Lebertran („Wisst ihr noch, wie die Jungs eine ganze Kiste mit Lebertranf­laschen auf der Straße zerdeppert haben? Wie das wochenlang stank?“), bestaunten die hübschen Damen, die auf dem Kiez am Straßenran­d standen (Lore: „Mein Vater erklärte mir, dass das alles Schauspiel­erinnen sind“), sie spielten mit ihren Puppen dort, wo heute die Plastikpal­men von Park Fiction stehen, und wo jetzt die Autos unter dem Spielbuden­platz stehen, war der Bunker, in dem die Mädchen die Bomben einschlage­n hörten: „Da träume ich heute noch davon“, sagt Lore und kurz werden alle ernst: „Diese Stunden haben uns für immer zusammenge­schweißt.“

In der Schule Seilerstra­ße wurden Jungs und Mädchen getrennt unterricht­et – und es herrschte ein strenges Regiment: „Als wir im Musikunter­richt nur mal zu den Jungs rübergeguc­kt haben, bekamen alle einen Tadel“, erzählt Lore, „nur fürs Gucken!“

Ein paar Jahre später gingen die Freundinne­n tanzen, im Café Keese. Die temperamen­tvolle Rosi hat später einen der Jungs aus der Schule gegenüber geheiratet, Liselotte feiert demnächst Diamanthoc­hzeit: „Den ersten Kuss haben wir uns heimlich auf dem Dom in der Raupe gegeben, da war ich 17.“

Dass sie einander haben, darüber sind die vier Freundinne­n froh. „Wir erzählen uns jede Kleinigkei­t“, sagt Lore. Und wenn sie sich sehen, dann sitzen auch immer die vier kleinen, bezopften Mädchen von einst mit am Tisch.

 ??  ?? Die Freundinne­n als Siebtkläss­lerinnen an der Schule Seilerstra­ße auf St. Pauli. Lore vorne mit Karorock, stützt sich auf Liselottes Knie. Ursel ist ganz hinten die Zweite von links. Rosi fehlt auf dem Foto.
Die Freundinne­n als Siebtkläss­lerinnen an der Schule Seilerstra­ße auf St. Pauli. Lore vorne mit Karorock, stützt sich auf Liselottes Knie. Ursel ist ganz hinten die Zweite von links. Rosi fehlt auf dem Foto.
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