REPORT „Ich mache mir immer viel zu viele Gedanken“
Aufregende Zeiten für Tom Schilling: Erst hat der 37-Jährige die Hauptrolle in Florian Henckel von Donnersmarcks „Werk ohne Autor“gespielt, der für Deutschland ins Oscar-Rennen ging, jetzt ist er als einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller zu sehen, als Bertolt Brecht – und nebenbei in der Tragikomödie „Die Goldf sche“. Wir trafen ihn in Berlin.
MOPO am Sonntag: Ihre Hauptrolle als Künstler in „Werk ohne Autor“schenkte dem Film eine Oscarnominierung, jetzt sind Sie als Bertolt Brecht zu sehen. Haben Sie vielleicht gerade eine Glückssträhne? Tom Schilling:
Nein, das würde ich nicht sagen. Eigentlich passt es mir nicht, dass die Filme, die ich über einen langen Zeitraum gedreht habe, jetzt alle in einem kurzen Zeitfenster veröffentlicht werden. Denn eigentlich drehe ich gar nicht so viel. Man könnte nach diesen beiden Jahren fälschlicherweise den Eindruck bekommen, ich sei wahnsinnig f eißig. Aber dafür wird man in den nächsten drei Jahren nicht viel von mir hören. Ich warte nur darauf, dass demnächst die ersten Fragen kommen, warum ich untergetaucht sei.
Aber wir sprechen nicht nur die Quantität Ihrer Arbeit an, sondern auch die Qualität.
Das stimmt. Lange Zeit war ich mit meinem Beruf nicht so richtig glücklich. Eigentlich wollte ich ja gar nicht Schauspieler werden. Ich wurde eher dazu gedrängt. In meinen Zwanzigern habe ich sehr mit dem Beruf gekämpft, mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Ich habe das Gefühl, dass mir das Schicksal ein paar Filme geschenkt hat, die meiner limitierten Fähigkeit als Schauspieler in die Karten spielen.
Limitiert? Warum so bescheiden?
Ich bin davon überzeugt, dass Schauspieler die richtigen Rollen brauchen, um zu zeigen, was sie können. Ich hatte da in letzter Zeit einfach sehr großes Glück. Die Filme, die ich gedreht habe, waren genau die richtige Bühne für mich. Durch diesen Erfolg kann ich mir in Zukunft auch besser die richtigen Rollen aussuchen. Das bedeutet, dass ich Rollen ausschlagen kann, die vielleicht zeigen würden, dass ich nicht so ein guter Schauspieler bin. Außerdem kann ich mich länger und intensiver auf die richtigen Rollen vorbereiten.
In „Werk ohne Autor“haben Sie einen großen deutschen bildenden Künstler des 20. Jahrhunderts gespielt, jetzt spielen Sie einen großen
deutschen Schrif steller des 20. Jahrhunderts. Was soll als Nächstes kommen?
Jetzt habe ich erst mal genug von Intellektuellen!
Im nächsten Film „Die Goldfische“spiele ich einen Investment-Banker, der im Rollstuhl landet. Sehr, sehr unintellektuell.
Was war an den Intellektuellen denn so schlimm?
Ach, es ist halt ein bisschen mühsam mit diesen ganzen Denkern. Ich mache mir selbst ja auch viel zu viele Gedanken. Das kann ganz schön anstrengend sein. Dabei gibt es doch nichts Schöneres, als einfach aus dem Bauch heraus etwas Albernes zu machen. Mal ganz ehrlich: Viel nachzudenken macht das Leben nicht unbedingt besser.
Fanden Sie Bertolt Brecht sympathisch?
Ehrlich gesagt spüre ich schon eine große Distanz zu dieser Figur. Ich musste mir die Rolle sehr mühsam erarbeiten und habe mich dabei von der Musik und seinem Talent leiten lassen. Er war ein unglaubliches Genie und extrem f eißig. Aber ganz viele Facetten an ihm finde ich auch sehr unangenehm, zum Beispiel die Art und Weise, wie er mit Frauen und Menschen generell umgegangen ist. Er hat sie in Abhängigkeiten gebracht und war sehr selbstgerecht.
Er war zeitweilig aber auch sehr charmant.
Klar, das ist natürlich das Spannungsfeld, in dem er sich bewegt hat. Hätte er nicht auch diesen Charme gehabt, hätten doch alle gesagt: Fuck off ! Er hat es verstanden, Mitmenschen zu animieren und zu begeistern. Er konnte auch so viele Talente um sich scharen – und in der Gruppe entwickeln sich oft Synergien. Als Gang ist man einfach stärker! Das ist wie mit Musikbands: Wenn’s funktioniert, bleibt keiner auf der Strecke.
Sie spielen den jungen Brecht ab
dem Alter von 17. Wie haben Sie ihn empfunden?
Als „angry young man“, einen wütenden, jungen Menschen, einen sexuell aufgeladenen Anarchisten und Rüpel. Ich hatte große Freude an dem musikalischen Aspekt, an den Stücken, die er geschrieben hat. Die Brecht-Werdung im ersten Teil hat mir auch große Freude gemacht. Tatsächlich war ich anfangs skeptisch, ob ich die Rolle spielen kann – und soll.
Was hat Sie überzeugt, sich diesem „Anarchisten und Rüpel“zu widmen?
Wir haben eine Probeszene gespielt, in der Brecht dem Besitzer des Theaters am Schiff auerdamm die „Dreigroschenoper“vorstellt. Dabei habe ich gemerkt, dass mir diese Texte riesigen Spaß machen. Der Regisseur Heinrich Breloer hat lange nach einem Schauspieler zwischen 17 und 36 Jahren gesucht, dem man diese Texte wirklich abkauft. Bei mir hatte er das Gefühl, dass er mir das glaubt. Das war mir auch wichtig. Die Dreharbeiten haben mir schon Spaß gemacht. Auch in sehr abstoßenden Figuren kann ich mich wohlfühlen, wenn ich dem Regisseur vertraue.
Was hat Ihnen vorab die meisten Kopfschmerzen bereitet?
Dass schon so viele Schauspieler Brecht gespielt haben und dass jeder eine bestimmte Vorstellung von Brecht im
Lange war ich mit meinem Beruf nicht glücklich.
Das Leben ist zu kurz, umsich ständig Sorgen zu machen.